Anstoß

Woran erkennen wir ein gedeihliches Leben?

Vor kurzem führte ich ein Gespräch mit einem Konservativen, der mir seine Auffassung von gut und böse darlegte. Sein Kernbegriff war dabei der des Hinhörens bzw. Hinhorchens, welches sich auf das Leben ausrichtet und daraus erkennt, was gedeihlich und was verderblich ist.

Gedeihlich ist, vereinfacht gesagt, das dem Leben Zugewandte. Das, was Demut in uns hervorruft, weil es uns unseren Platz im Gefüge des Lebens einnehmen lässt und uns zwingt sich bedingen zu lassen. Kinder zur Welt zu bringen und sie zu erziehen, sich aufzuopfern, bis diese selbstständig sind.

Nun folgt aus diesem Hinhören jedoch kein bloßes „richtig oder falsch“, welches der subjektiven Auffassung unterworfen wäre, sondern ein objektives „Gut“ und „Böse“. Und so sehr ich dem zuvor gesagten zustimmte, es mitfühlte, so sehr haperte es an dieser Stelle bei mir.

Wie kommt man vom Hinhören zur Bestimmung des absolut Guten und Bösen? Dieses Hineinfühlen in das Leben erfolgt doch aus der eigenen Wahrnehmung und Betrachtung heraus, die den Klang des Lebens an anderen Orten hören wird. Jede einzelne Person wird diesen Klang woanders mehr oder weniger spüren und ebenso wird jede einzelne Kultur ihre eigene unverwechselbare Klangfarbe setzen, die die Kraft des Lebens ausdrückt. Wäre nicht gar eine Kultur denkbar, deren Gestimmtheit in unseren Augen sogar ganz prinzipiell böse erscheinen müsste?

Subjektives Empfinden und objektive Wahrheiten

Wo setzt man die Trennung an? Das Gute und das Böse pulsieren beide durch die Welt und häufig scheint es schwierig, eins vom anderen zu unterscheiden. Ist nicht jedes Böse auch Folge einer Bedingtheit? Der Untergang unsere Kultur entspringt einem gewissen Liberalismus, dieser Liberalismus vielleicht einer kapitalistischen Wirtschaftsform, und auch diese entstand ja aus keinem Vakuum, sondern erwies sich einfach als äußerst erfolgreiche Art, die Welt und ihre Rohstoffe zu verwalten.

Ist nicht die Natur des Menschen an für sich zumindest so etwas wie pervers? Biologisch gesehen ein Tier, war er ursprünglich genauso triebhaft und sinnlich in der Natur verhaftet wie alle anderen Tiere, bis die Kraft seiner Hirnnerven ihn aus diesem natürlichen Kreis verbannte. Dies ist, soweit würde ich dann ebenfalls gehen, im Endeffekt der Ursprung der menschlichen Kultur und Zivilisation, also Dingen, die der Rechte (und auch ich) als irgendwie groß und sinnstiftend erlebt.

Kultur und Zivilisation

Und doch besteht dort das Problem fort. Denn so sinnerfüllt Kultur auch ist, ist der Schritt in ihre Erstarrung nicht weit. Schon bei der Frage, ob Zivilisation im Gegensatz zur Kultur überhaupt noch zu den schönen Dingen gehört oder nicht bereits den Weg zum Totenbett markiert, scheiden sich die Geister. Wenige Zweifel dürften hingegen darin bestehen, dass unsere jetzige Zivilisation sich bereits in den Zustand des Perversen begeben hat und die Auswüchse unserer Hirne, die Computer, Kommunikationsnetzwerke und Betonflächen des 21. Jahrhunderts nichts mehr von dem phantastischen Glühen einer frühen, gärenden Kultur hat, sondern einer Krankheit gleicht; nicht bloß einer Erhöhung über die Natur, sondern die Erschaffung einer völlig künstlichen Simulation, in der wir uns einrichten, obwohl wir mit jeder Stunde bemerken, dass sie uns krank macht.

Oswald Spenglers Raubtiernatur des Menschen richtet sich gegen uns selbst, und wo er zuvor mit Hand und Auge die Welt beherrschte, beherrscht nun seine Schöpfung ihn. Nun ist diese jedoch dermaßen in der gesamten Natur der Entwicklung des Menschen und seiner Kultur angelegt, dass es schwer zu bestimmen scheint, ob eine Pervertierung des Kerns geschieht, oder sie im Kern bereits unheilbar angelegt ist.

Nein zum Universalismus

Doch brauchen wir eine objektive Unterscheidung des Bösen vom Guten? Oder liegt die Freiheit des identitären Gedankens nicht darin, dass er keine objektiven – und dadurch ja letztlich universalistischen – Unterscheidungen braucht? Gut und Böse, gedeihlich und verderblich, sind zunächst Dinge, die eine jede Kultur subjektiv für sich beurteilt und daraus ihr kulturelles Selbstverständnis schafft, welches sie von anderen Kulturen abhebt.

In der zersplitterten Welt der Moderne verläuft der Mechanismus anders, führt jedoch zu den gleichen Folgen: ein jeder nimmt gut und böse für sich subjektiv und individuell wahr, schließt sich dann aber mit anderen zu Gruppen zusammen, deren Wahrnehmung mehr oder weniger mit der seinen übereinstimmt. Andere Gruppen mögen eine radikal andere Auffassung haben und je nach Situation mag man mit ihnen verhandeln, sich gegenseitig ignorieren oder bekämpfen. Einen Anlass, die gruppeneigene Wahrnehmung zur objektiven Wahrheit zu erklären, sehe ich allerdings nicht.

(Bild: Oswald Spengler, Bundesarchiv, Bild 183-R06610 / CC-BY-SA 3.0)

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