Anstoß

Die Leiden der jungen Deutschen

Vor etwa einem Jahr setzte sich ein 15-jähriges Mädchen vor den Reichstag in Stockholm, um für mehr Klimaschutz zu demonstrieren. Heute ist „Klima-Greta“-Thunberg, die als Initiatorin von #fridaysforfuture Millionen Schüler für mehr Klimaschutz auf die Straße holte, berühmt. Beim Weltwirtschaftsforum in Davos erklärte sie: „Ich will, dass ihr Panik bekommt, dass ihr die Angst fühlt, die ich jeden Tag habe. Und dass ihr handelt, als stünde das Haus in Flammen.“

Und scheint damit bei jungen Deutschen zwischen Mitte 20 und Mitte 30 die schwache Stelle getroffen zu haben. Das Wirtschaftsprüfungsunternehmen Deloitte fand jedenfalls in seiner achten Millennial-Studie 2019 heraus – befragt wurden über 16.000 Millennials (Jahrgänge 1983 bis 1994) und Jugendliche der Generation Z (Jahrgänge 1995 bis 2002) aus insgesamt 42 Ländern –, dass der Klimaschutz die größte Sorge der jungen Generationen in Deutschland ist.

Klimawandel wichtiger als Krieg

Eine Sprecherin des Unternehmens verweist auf die „hohen Mobilisierungskräfte“ der Bewegung Fridays for Future. Nicht nur das. Deloitte beobachtet auch „eine gewachsene Skepsis, die weit über dem globalen Durchschnitt liegt und seit dem Vorjahr signifikant zugenommen hat“.

Die größten Sorgen der deutschen Millennials im internationalen Vergleich:

  1. Klimawandel, Naturkatastrophen: 35 Prozent (weltweit: 29 Prozent)
  2. Terrorismus: 29 Prozent (weltweit: 19 Prozent)
  3. Kriminalität, persönliche Sicherheit: 20 Prozent (weltweit: 19 Prozent)
  4. Politische Instabilität, Krieg: 18 Prozent (weltweit: 18 Prozent)
  5. Korruption: 15 Prozent (weltweit: 20 Prozent)

Dass nur 28 Prozent der deutschen Millennials (weltweit: 39 Prozent) mit ihren Lebensumständen zufrieden sind, ist angesichts ihrer vergleichsweise großen Nöte nachvollziehbar. Die melancholische „Sorge um Dinge, die einen eigentlich überhaupt nichts angehen“, gibt dabei wohl den entscheidenden Ausschlag.

Sie sei typisch für die Deutschen, meint der aus Russland stammende Bestsellerautor Wladimir Kaminer. Er spricht von Weltschmerz, einem Begriff, den die Gebrüder Grimm einst als „tiefe Traurigkeit über die Unzulänglichkeit der Welt“ definierten. Das antriebslose Kreisen um den inneren Schmerz erklärt vielleicht, dass nach der Analyse von Deloitte Deutschland auch bei den Top-Ambitionen deutlich hinter dem internationalen Durchschnitt zurückbleibt:

  1. Reisen: 50 Prozent (weltweit: 57 Prozent)
  2. Hohes Einkommen: 40 Prozent (weltweit: 52 Prozent)
  3. Eigene vier Wände: 39 Prozent (weltweit: 49 Prozent)
  4. Gesellschaftlichen Beitrag leisten: 33 Prozent (weltweit: 46 Prozent)

Die Deutschen wollen überdurchschnittlich oft eine Familie aufbauen

Nur bei dem Wunsch nach einer eigenen Familie liegen deutsche Millennials vorne:  44 Prozent (weltweit: 39 Prozent). Ambivalent ist indes das Verhältnis zu Social Media. Mehr als die Hälfte der jungen Deutschen glaubt, dass sie eine Reduktion ihres Social-Media-Konsums gesünder und glücklicher machen würde. Dennoch wären rund 40 Prozent besorgt, wenn sie für ein oder zwei Tage keinen Zugang zu ihren Profilen hätten. Trotzdem können sich 54 Prozent (weltweit: 41 Prozent) vorstellen, komplett aus Social Media auszusteigen.

Da die deutschen Millennials im Vergleich zu Interviewten aus anderen Ländern kaum in Zeiten radikaler Veränderungen in ihrem täglichen Leben aufgewachsen sind, warum scheinen viele vor der Welt fliehen bzw. sie retten zu wollen? Sind es die deutschen Medien, die überwiegend apokalyptisch über den Klimawandel berichten? Ist es „die Jugendliteratur, die den Klimawandel vor allem als soziale Katastrophe imaginiert und mit eindringlichen Bildern von apokalyptischen Zuständen erzählt?“, wie die Neue Züricher Zeitung schreibt.

Sehr entspannt dagegen sieht der Physiknobelpreisträger Ivar Giaever den Klimawandel. Er ist einer der über 31.000 Wissenschaftler, die mit dem „Global Warming Petition Project“, das ursprünglich 1998 initiiert wurde, die US-amerikanische Regierung aufforderten, das im Kyoto-Protokoll 1997 aufgestellte Abkommen zur Klimaerwärmung zurückzuweisen. Ein Anstieg von CO2 in der Atmosphäre sei nützlich für die Pflanzen- und Tierwelt. Außerdem sichere er die Existenzgrundlage von hunderten Millionen Menschen in ärmeren Ländern.

Hilft nur ein Bevölkerungsrückgang?

Was im Umkehrschluss bedeuten würde, dass nur ein Zusammenbruch der Bevölkerung in armen Ländern die Kohlendioxidwerte nachhaltig reduzieren würde. Wie damals im 15. Jahrhundert in Peru, als europäische Eroberer tödliche Pandemien nach Südamerika brachten, die weite Landstriche wieder zur menschenlosen Wildnis machten. „In der Folge brachen die Kohlendioxidwerte ein, wodurch die Kleine Eiszeit einen weiteren Schub erhielt“, schreibt der Historiker Niall Ferguson in einer Kolumne für die britische Sunday Times.

Ivar Giaever wundert sich über die Annahme, dass sich das Klima in der Wahrnehmung immer nur zum Schlechteren ändern könne. Er sprach mit einem Journalisten von Der Zeit und fragte ihn gotteslästernd, wie viele Artikel er veröffentlicht habe, die aussagten, dass die globale Erwärmung gut sei. Eine Antwort bekam er nicht.

(Bild: Anders Hellberg – CC BY-SA 4.0)

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