Die Blaue Narzisse entstand vor 15 Jahren als explizite Kulturzeitschrift. Gerade in der Anfangsphase war fast die gesamte Redaktion fasziniert von Bands wie Forseti oder Orplid. Romantik und Neofolk waren also wichtige Einflüsse für uns. Wie sich diese Musik und Kunst weiterentwickelt hat, möchten wir nun in einem Gespräch mit Uwe Nolte klären.
BlaueNarzisse.de: Lieber Uwe, wir kennen dich seit vielen, vielen Jahren als eines der prägenden Gesichter der Neofolk-Szene. Trotzdem wissen wir nicht so genau, wer du eigentlich bist. Musiker, Lyriker, Künstler, jemand, der das Leben als Gesamtkunstwerk begreift? Wo kommst du her und wo gehst du hin?
Ich komme aus Merseburg, der Stadt der Zaubersprüche und Quelle des Reiches, dem Grat zwischen Traum und Wirklichkeit. Der Ort meiner Geburt ist symbolisch: Magie und Königtum in allen Dingen sehe und besinge ich. Die Liebe zur Tradition rief mich zur Feder. Sie ist mein Balmung im spirituellen Krieg gegen die Strichkotisierung der Welt. Meine Wurzeln gehen tiefer als das Germanische und meinen Sehnsüchten bietet Luthers Himmel keine Heimstatt. Ich suche unentwegt. Woher komme ich und wohin gehe ich? Als Dichter habe ich das Privileg, ein Gedicht für mich sprechen zu lassen:
ICH BIN!
Ich bin des Meeres Woge
Fast losgelöste Gischt,
Mysterium der Droge,
Bevor der Rausch erlischt.
Ich bin im Flug des Windes
Des Sonnenadlers Schrei,
Das Augenmaß des Kindes,
Durchwebt vom Staunen, frei.
Ich bin das Gestern, Morgen,
Das Heute sehrt mich kaum,
Zu tief, zu tief verborgen
Umlodert mich mein Traum.
Ich bin in Geistes Ferne
Ein Quell aus Kraft und Witz,
Dem Dünkel der Moderne
Entrückter Runenblitz!
Ich bin des Kusses Flamme,
Gesät im Orient,
Von jenem alten Stamme,
Der, wenn er liebt, verbrennt.
Ich bin in Abendgluten,
Ein Schatten oft, schon bleich
Vom treuen Bluten, Bluten
Für meines Wunsches Reich.
Ich bin der Hort, der stumme,
Im Uferschlamm des Rheins,
Bin nichts, bin jede Summe
Vom Hexeneinmaleins.
Ich bin mein lichtes Omen,
Ganz Leib, vom Sternentanz
Umkreist, der Chromosomen
Vollkommene Allianz.
Ich bin erwacht vom Geben:
Nirwanas Illusion,
Befreit von Tod und Leben,
Erspähe ich, ich schon.
Ich bin des Hungers lichter,
Vom Tier gesandter Sinn,
Des Himmels letzter Dichter:
Ich bin! ich bin! ich bin!
Diese Verse haben wir auf dem aktuellen ORPLID-Album „Deus vult“ vertont. Vom Klang her wird dieses Album kaum etwas mit „Neofolk“ zu tun haben. Es ist mir gleich, denn „Neofolk“ ist für mich kein musikalisches Genre, sondern stellt für mich eine Geisteshaltung dar, die bei mir unter anderem durch Musik zum Ausdruck kommt. „Neofolk“ ist mein Bekenntnis zu Heimat, Form und Sinn, also moralischen und kulturellen Normen, die in Deutschland mehr und mehr abhanden kommen.
Neofolk als Bekenntnis zur Heimat ist eine schöne Definition. Aber wir haben damit ein Problem: Warum überwiegt beim Neofolk immer das Melancholische, wenn doch die Heimat etwas Schönes und Lebensbejahendes ist? Viele, gerade unpolitische Menschen, die einmal in diese Musik hineinhören, fühlen sich von dieser düsteren Stimmung regelrecht abgestoßen. War da das deutsche Volkslied nicht schon einmal weiter?
Viele Macher und Konsumenten von Neofolk haben scheinbar Heimweh nach einem Deutschland, das es niemals gab und vielleicht auch nicht geben wird. Daher die unentwegte Rastlosigkeit und Melancholie. Es sind die „jungen Werthers“, die Neofolk mögen. Sie sind berauscht vom Duft der Blauen Blume, suchen und suchen nach ihr auf geographischen und menschlichen Abwegen und wissen nicht, daß sie nur in der Stille des eigenen Herzens blüht.
Die Wenigen, die diese Phase überdauern, die nicht in Suff, Bürgerlichkeit oder Suizid enden, können durchaus später, gereift und geläutert, wichtige Impulse versenden und erlebte Subkultur in gelebte Kultur wandeln: ich bin das klassische Beispiel! Ich selbst komme aus der bürgerlichen Nische des linken Milieus und habe die Hölle aus vermüllten Jugendklubs samt ihrer im Haschischdampf moralischer Deutungshoheit vegetierenden InsassInnen überstanden. Neofolk hat mich gerettet und mich zu mir, zur Poesie geführt.
Das Deutsche Volkslied ist wunderbar und erhaltenswert. Ich selbst bin aber kein Freund von konservativen Singzirkeln: Kopieren und Nachäffen retten das Abendland nicht mehr und haben den kulturellen Stellenwert eines Mittelalterfestes, wo sich wohlstandsverwahrloste Zombies für Momente aus ihrem verschissenen Konsum-Alltag wegzaubern. Meine Aufgabe ist es, Brücken zu bauen zwischen dem Gestern, Morgen, der Klassik und Moderne – und zur deutschen Heilung beizutragen.
Zu dieser „deutschen Heilung“ müssen wir eine Anekdote einstreuen. Als sich 2014 Pegida mit rund 20.000 Bürgern zum ersten Weihnachtssingen vor der Dresdner Semperoper traf, war wirklich fast niemand textsicher und es wurden nun wirklich nur die bekanntesten Lieder angestimmt. Wie ist es deiner Meinung nach zu erklären, daß gerade diejenigen, die ständig davon sprechen, die deutsche Kultur retten zu wollen, so wenig mit ihr anfangen können?
Mit Blick auf unseren eigenen Jugendkulturpreis (bisher mit Rilke, Kafka, Houellebecq und Novalis als Impulsgeber) mußten wir dieses Phänomen leider auch beobachten. Außerhalb unseres Milieus war die Resonanz sehr gut, innerhalb der patriotischen Szene jedes Mal miserabel. Hast du schon den Hebel gefunden, dies zu ändern?
Die „Bürger“ haben ihre Lieder vergessen? „Bürger“ haben keine Lieder! „Bürger“ haben Angst vor Melodie, Kraft und Aussage! „Bürger“ haben größere Sorge um die Meinung des Nachbarn, als um ihr eigenes Seelenheil. „Bürger“ haben aus Deutschland eine spirituelle Wüste gemacht! Mit „Bürgern“ ist kein Krieg zu gewinnen!
Prinzipiell begrüße ich Wandel und Empörung, aber schon der Name „Pegida“ ließ mich befürchten, daß dies eine am Schreibtisch entworfene Kulisse zum Austoben für das deutsche Herdentier ist. Um etwas zu ändern, muß man bereit sein, den Status des „Bürgers“ hinter sich zu lassen. Deswegen sind 100 entschlossene Männer mit Sinn für Ästhetik mehr wert, als 20.000 massenpsychotische Brüllaffen. Wir, wenn wir Deutschland retten wollen, müssen zurück zur Essenz, zum Wesentlichen, ein schöpferisches Ich entwickeln: jeder für sich und alle für jeden!
In Rußland, wenn ich an Schulen und Universitäten Lesungen halte, werde ich immer gefragt, warum die Deutschen sich so hassen und selbst zerstören. Ich zucke jedes Mal mit den Schultern, verweise auf Hölderlins Wort: „In der Not wächst das Rettende!“ und seufze: Nadezhda umiraet poslednej …
Rußland ist ein gutes letztes Stichwort für unser Gespräch. Was hat dich dort hingeführt? Und wie anders sind die Russen im Vergleich zu uns?
Ich verbrachte einige Zeit in Schirjajewo, einem Dorf bei Samara, an der Wolga gelegen, im Nachbarhaus von Ilja Repin. Ich bin sehr gerne dort auf Tour, weil die Konzerte emotional und inspirierend sind. Neofolk ist in Rußland Kultur und nicht Subkultur. Die russischen Menschen lieben deutsche Kunst. Kinder und Jugendliche reichen mir nach Konzerten Blumen oder sagen Gedichte von Goethe und Schiller auf. Unvorstellbar in Deutschland !
Und noch unvorstellbarer: Direkt am Mamajew-Hügel in Wolgograd, also in welthistorischer Wunde, sah ich liebevoll gepflegte Gräber deutscher Soldaten. Der russische Mensch hat Instinkte. Er lebt im Moment und weiß sich immer zu helfen. Er ist pragmatisch und leidenschaftlich zugleich. Und er liebt seine Heimat! In der DDR-Propaganda hieß es immer: „Von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen.“ – und unter den von mir genannten Aspekten, lagen die wackeren Opis vom ZK gar nicht so verkehrt …
Lieber Uwe, vielen Dank für das aufschlußreiche Gespräch!
Hier geht es zur Internetpräsenz von Uwe Nolte.
(Foto: Christian Bormann)
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