Anstoß

Die Narrenfreiheit des Boulevard

Im Kosmos der Lügen- und Lückenpresse ist die Qualitätspresse streng politisch korrekt. Doch welche Funktion hat die Narrenfreiheit der Boulevardpresse?

„Erwürgt, weil ihr Mörder nicht abgeschoben wurde!“, so der Titel der Bild vom 17. Oktober 2017. Es ging um den Mord an der 60-jährigen Susanne. Es war bei weitem nicht das erste Mal, daß das alte Skandalblatt in diesem scharfen Ton gegen die Willkommenskultur zu Felde zog. Hat Bild, immer noch die meistgelesene Tageszeitung des Landes, sich der Fundamentalopposition gegen ein System angeschlossen, das Deutschland auf Biegen und Brechen in ein multikulturelles Buntland verwandeln will?

Der Bösi-Ösi

Nur einen Tag zuvor titelte Bild-Online zur Wahl in Österreich: „Lässt der Bösi-Ösi Wahlsieger Kurz hängen?“ Es ging um die Koalitionsverhandlungen und mit dem „Bösi-Ösi“ war Heinz-Christian Strache (FPÖ) gemeint. Offenbar ist es egal, womit man dem Bild-Leser seine tägliche Dosis Aufregung verschafft, ob mit der erwürgten Susanne oder mit dem „Bösi-Ösi“.

Die Boulevardpresse funktioniert nach dem Skandalprinzip. Das ist nicht neu. Interessant ist allerdings, wie sich das auf ihre Funktion im System der politischen Korrektheit auswirkt. Im Vergleich zu sogenannten Qualitätsmedien ist die Boulevardpresse hier an der längeren Leine.

Das ist nicht nur bei der Bild so. In England zum Beispiel ist der grassierende Wahlbetrug in muslimisch dominierten Stadtvierteln ein offenes Geheimnis, über das man nicht so laut spricht. Die Zeitung, die jedoch eifrig über dieses Thema berichtet hat, ist The Daily Mail, die 2010 sogar selbst Untersuchungen dazu anstellte. Im Guardian wäre das wohl kaum durchgegangen.

Ungefährliche Skandaldresche

Was bedeutet also der Bild-Furor wegen der ermordeten Susanne für das bundesrepublikanische Establishment? Dasselbe wie Seehofers gelegentliche Ausbrüche. Zunächst ein ungefährliches Druckablassen des Volkszornes auf unterstem Niveau. Die Leute können sich aufregen: „Da sagt‘s mal einer.“ Was genau der da sagt, ist dabei zweitrangig, Hauptsache ein Skandal am Morgen. Ist man auf der Arbeit angekommen, beruhigt man sich aber ganz schnell wieder.

Ich behaupte hier nicht, daß sich die Bild-Journaille in dem Bewußtsein an die Arbeit begibt, diese Funktion erfüllen zu müssen. Julian Reichelt wird nicht morgens in die Redaktionsräume kommen und erklären: „Männer, ihr kennt eure Pflicht! Der dumme Michel muß mal wieder seinen Frust rauslassen können.“

Das mag zwar die persönlichen Gedanken des einen oder anderen Bild-Journalisten treffen. Ganz dumm sind sie ja nicht. Doch das Entscheidende ist: Die wissen, womit sie Auflage machen können und wie weit sie gehen dürfen. Der Rest folgt daraus von alleine.

Bild wird selbstverständlich nie irgendwelche gegen das Establishment als solches gerichteten Schlußfolgerungen ziehen. Es ist eine bloße Hatz von Aufreger zu Aufreger, an deren Ende der Leser seine Tratschsucht befriedigt und sich ausempört hat, dabei aber eher ermattet, als wütend wird.

Auch Akademiker werden verBILDet, auf ihre Weise

Dem Boulevard stehen in der Berichterstattung über kriminelle Ausländer oder Pleitegriechen auch deshalb größere Freiräume zur Verfügung, weil er das intellektuelle Klima nur mäßig beeinflußt. Bild ist nun einmal die Zeitung der unteren Schichten. Akademiker, und auf die kommt es in der Metapolitik vor allen Dingen an, lesen dieses Blatt nicht.

Das heißt, sie lesen es schon, in begrenztem Umfang. Sie lesen beispielsweise beim Einkauf oder am Kiosk die aktuelle Titelüberschrift. Da steht dann: „Erwürgt, weil ihr Mörder nicht abgeschoben wurde! Susanne (60) (…)“

Der durchschnittliche Akademiker liest das und denkt: „Aha, das Proletenblatt hetzt mal wieder gegen Ausländer. Was für ein Schwachsinn. Da wird dieser Einzelfall der erwürgten Susanne herausgegriffen und dann so ein Skandal daraus gemacht. Jeder, der ein bißchen wissenschaftlich denken gelernt hat, muß doch begreifen, daß man auf diese Weise inszenieren kann, was man gerade für lustig hält. Daß die Leute darauf hereinfallen! Und dann kriegen wir 12,6% AfD.“

Als nächstes wird sich unser wissenschaftlich gebildeter Nichtprolet freilich wegen eines kolportierten Vorfalls von Sexismus am psychoanalytischen Institut der Theodor W. Adorno Universität Grünstadt in Schnappatmung hineinsteigern …

Rechts ist immer noch Prollo

Rechte Positionen sind in den Köpfen der meisten Gebildeten immer noch mit niedrigem Sozialstatus verknüpft. „Rechte, das sind Prollos. Sozialversager, die es nötig haben.“ Das ist ein größeres Imageproblem, als der Ruch böse zu sein. „Böse“, das fasziniert auch, „Versager“ wertet nur ab.

Es gibt für dieses Bild der Rechten eine Reihe von Gründen. Zum großen Teil liegt es daran, daß die von der Rechten thematisierten Probleme der Art sind, daß man sich umso leichter von ihnen isolieren kann, je höher man auf der sozialen Leiter steht. Antirassismus, den man selber nicht leben muß, weil man sich schon durch die finanzielle Distanz von den braunen Horden (den anderen braunen Horden!) fernhalten kann, ist dadurch zum Statussymbol geworden, mit dem man seine Zugehörigkeit zum glitzernden Teil der Globalisierung belegt.

Ein anderer Grund liegt darin, daß in den Medien relativ häufig Bilder häßlicher Naziglatzen zu sehen sind. Der asoziale Auswurf, der in besetzten Häusern der linken Szene lungert, aber nicht gezeigt wird.

Nicht unterschätzt werden sollten jedoch auch die tatsächlichen Wirkungen der Boulevard-Medien. Wo immer der linksliberale Akademiker den niemals ernstgemeinten Stammtischprotest wie aus entsprechenden Kreisen der CSU vernimmt, kann er sich in seiner geistigen Überlegenheit sonnen. Das ist der größte Schaden, den Bild und Konsorten diesem Land zufügen. Sie machen es nahezu unmöglich, daß über ein Problem wie Ausländerkriminalität in einer ernsthaften, politisch analytisch angelegten Weise gesprochen werden kann. Dies ist aber bitter notwendig, um die Politik, die nun einmal von Eliten entworfen wird, zu ändern.

(Bild: Traveller_40, flickr, CC BY-NC-ND 2.0)

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