Rezension

Enklave: Ein Schleier aus Selbstverständlichkeit

Volker Zierkes Erstlingswerk „Enklave“ ist ein Rätsel. Die Geschichte des Ich-Erzählers, einem Angehörigen der „Legion“, verliert sich in einem Schleier aus Selbstverständlichkeit, der sich auch am Ende nur zur Hälfte hebt.

Für mein persönliches Selbstwertgefühl war es recht erhebend, nach der Lektüre auf den Klappentext zu schauen und zu sehen, daß dessen Verfasser beim Jungeuropa Verlag offenbar genauso große Schwierigkeiten hatte, den Inhalt auf den Punkt zu bringen, wie ich.

Zierke gelingt es tatsächlich durch Selbstverständlichkeit zu verschleiern, weil er nichts erklärt. Alles ist, wie es ist und ist einfach so. Selbst die abrupten Szenenwechsel zu den so betitelten „Interludien“ um den Inspektor Blüche, die gar nichts mit der Geschichte zu tun zu haben scheinen, geschehen einfach. Erst am Ende kann der Leser sich die Bruchstücke selbst zusammenfügen. Jeder Leser wird dabei zu einem anderen Ergebnis gelangen.

Selbst die Frage, wer denn eigentlich der Oberst Khyber ist, der zu Beginn vom Ich-Erzähler als wichtigste Figur der Geschichte angekündigt wird, kann nur erahnt werden. Auch, wenn man seine Bedeutung begreift. Da ich dem Leser diese Erfahrung nicht ruinieren möchte, bin ich leider gezwungen teilweise ebenso zu verfahren. Ich hoffe, daß ich dennoch nachvollziehbar bleibe.

Ein Stil aus kurzen Wechseln

Bei einem jungen Autor muß so eine Eigentümlichkeit suspekt wirken. Der Leser vermutet den Versuch, mit aller Gewalt ein Alleinstellungsmerkmal erzwingen zu wollen, die Geschichte und Stil nicht hergeben.

Was den Stil anbelangt, kommt von der ersten Seite hingegen kein Zweifel an Zierkes Talent auf. Der Ich-Erzähler trifft mit seinem ersichtlich an Ernst Jünger geschulten ständigen Wechsel aus Lagebeschreibungen und sinnierenden Passagen die Mentalität des nachdenklichen Kriegers, der erst am Ende merkt, daß es bei seiner Mission um ihn selbst ging.

Eine wunderbare stilistische Zusammenfassung einer ganzen zwischenmenschlichen Beziehung in nur einem einzigen Wort gelingt Zierke in der Beschreibung der Feuerleitoffizierin Fechter durch den Ich-Erzähler, den mit Fechter eine im Dienst unterdrückte Liebesbeziehung verbindet.

Der sich distanzierende Ton, in dem der Ich-Erzähler immer nur von „Fechter“ spricht, selbst wenn er an ihre Tändeleien auf der Militärakademie zurückdenkt, trifft die Beziehung hervorragend durch diese soldatische Redeweise, die den Nachnamen zu einer weniger formellen Bezeichnung für Rang und Funktion macht.

Soldatischer Grundton

Die Geschichte, soweit sie aufgeklärt wird, hat durch den soldatischen Grundton einen originellen Hintergrund, der das sich im Laufe der Erzählung enthüllende Thema in ein anderes, als das in anderen Bearbeitungen übliche Licht rückt.

Allein, daß dieser Auflösung kurz vor dem Ende noch eine Art lexikalischer Überblick über die Geschichte der Welt von Enklave, reflektiert von Inspektor Blüche, angefügt wurde, ist überflüssig und wirkt aufgesetzt. Diese kurze Welterklärung am Ende erinnert an die Welterklärungen, die in den Hintergrundbüchern zu Tabletop- und Videospielen zu finden sind.

Zierke wäre hier besser seinem bisherigen Erzählstil treu geblieben und hätte den Inspektor auf fünf Seiten einfach das notwendige tun, oder als Selbstverständlichkeit in einer Besprechung aussagen lassen. Der Leser hätte auch ohne diese Plumpheit erfahren, was er erfahren muß.

Die Nebenerzählung um Inspektor Blüche nimmt so ein enttäuschendes Ende. Zierke hatte offenbar mit diesem ganzen Erzählstrang um den Bürokraten Blüche deutlich mehr Probleme, als mit der Haupterzählung um den Offizier der Legion und Feuerleitoffizierin Fechter.

Mehr Fragen, als Antworten

Enklave entwickelt sich im Verlauf der Erzählung von einem Abenteuerbericht zu einer Meditation über den Sinn des Abenteuers an und für sich. Was bedeutet das Erlebnis, für den, der es erlebt. Ist es gesellschaftlich notwendig, daß Menschen durch Extremerfahrungen geformt werden? Zierke spielt jedoch nicht eine persönliche und eine gesellschaftliche Ebene gegeneinander aus.

Für den Bürokraten Blüche ist das Abenteuer eine beneidenswerte Erfahrung der Jugend, welche den angenehmen Effekt hat, gute Staatsbürger hervorzubringen. Die Bewohner der Enklave hingegen betrachten es als Betrug.

Der Ich-Erzähler trifft eine Entscheidung, die den Leser mit mehr Fragen, als Antworten und Fechter mit einem Lächeln hinterlässt.

Volker Zierke: Enklave, Jungeuropa Verlag, Dresden, 2020. 132 Seiten.

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