Rezension

Für einen aufgeklärten Kulturpessimismus

Ist es klug, die gemeinhin als vergiftet geltende Position eines Kulturpessimisten einzunehmen?

Spätestens seitdem die Pop-Art von Andy Warhol als Kunst gilt, und Punkbands wie die Toten Hosen zu Auftritten höchster staatlicher Würdenträger abgespielt werden, sollte doch eines klar sein: Als kulturelles Gut kann heute so beinahe alles gelten. Daß es zwischen einem Gemälde Rembrandts und dem von Joseph Beuys in den Raum gestellten Stuhl mit Fett dennoch einen kulturrelevanten Unterschied gibt, sollte einleuchten. Wie konnte es also dazu kommen, daß heute beides als Kunst gelten soll? Und sind jene, denen eine Gleichstellung aufstößt, automatisch griesgrämige Kulturpessimisten?

Der Untergang ist real

Zu diesem noch weit umfangreicheren Thema ist jüngst im zu Klampen Verlag ein hochinteressantes Büchlein des Philosophen und Cicero-Kolumnisten Alexander Grau erschienen. Sein erklärtes Ziel ist es, den zu Unrecht als ewiggestrig geltenden Begriff des Kulturpessimismus zu rehabilitieren und dessen Verständnis gleichsam zu erneuern.

Das ausdrücklich im Geiste Oswald Spenglers geschriebene Essay zeigt Kultur zunächst als ein Ordnungssystem auf, das der Mensch der bedrohlich wirkenden Natur entgegensetzt. Kulturen, die den Entwicklungssprung zu einer Hochkultur vollziehen, sind jedoch latent gefährdet, sich selbst zu schaden. Entweder sie drohen zu erstarren, oder sich durch ihre inneren Umformungsprozesse selbst den Boden zu entziehen, auf dem sie jedoch letztlich nur gedeihen können. Was dann eintritt, ist die Auflösung aller ihrer Überlieferungen, zugunsten eines rational erscheinenden Weltbildes, in dem für Tiefe und Mystik kein Platz mehr ist.

„Ziel ist der globale Melting Pot, aus dem sich jeder nach seiner Fasson bedienen kann.“

Durch diese Nivellierung kultureller Differenzen wird schließlich „die Vielfalt, die Buntheit und Austauschbarkeit, kurz: die Normlosigkeit zur Norm. Wo jedoch Normlosigkeit zur Norm wird, ist die Zerstörung und Überwindung von Normen das Ideal.“ Die Phase der eigentlichen Kultur liegt heute also längst hinter uns. Das Zeitalter der bürgerlichen Vernunft, in dem sich diese die Kultur zerstörende Entwicklung durchsetzte, stellte geschichtlich die Übergangsphase hierzu dar, und führte uns schließlich in das spätkulturelle Stadium zivilisierter Rationalität über, in dem wir heute stehen.

Über die geschichtliche Wurzel unseres kulturellen Verfalls lässt sich dabei trefflich streiten. Hier stellt Grau die Theorien von Joseph de Maistre, Henri Massis, René Guénon und weiteren vor, welche die Ursache der kulturellen Erosion des Abendlandes wahlweise in der Renaissance, der Reformation, der verpassten Latinisierung Europas nördlich des Limes oder auch bereits in der griechischen Antike verorten. Leider spart er hierbei jedoch den eingangs erwähnten Oswald Spengler aus, der seinerzeit zur Lösung dieser Frage noch andere Ansatzpunkte präsentierte.

Kritik an unserer Entwicklung muß heute rational sein, nicht mystisch

Unstrittiger erscheint hingegen die konkrete Ursache des kulturauflösenden Prozesses in den verbesserten Lebensbedingungen des abendländischen Menschen zu liegen, die Grau mit Gustave Le Bon, Elias Canetti und Theodor W. Adorno beschreibt. Auf der Grundlage einer anhebenden Industrialisierung, die den Menschen von der kulturnotwendigen Enthaltsamkeit entbindet, ist es dann nur folgerichtig, daß sich im Leben dieser Kultur Hedonismus ausbreitet. Unter dem Einfluß des Lustprinzips, das den Menschen nun ebenso beherrscht wie einst die altbürgerliche Moral, erodieren schließlich kulturelle Äußerungen wie Religion und Gemeinschaftsgefühl als widerlegte Größen einer vergangenen Zeit.

Um diese Prozesse zu verstehen und ihre für den Menschen fatalen Fehlentwicklungen aufzuzeigen, die Grau im Wegfall eines kultur-religiösen Sinnzusammenhangs sieht, empfiehlt er schließlich die Position eines aufgeklärten Kulturpessimismus. Anstatt die Entwicklung blind zu feiern, solle man sie nüchtern beschreiben, um darüber die nötigen Konsequenzen für unser Zusammenleben abzuleiten. Demnach solle man sich nicht in eine für unsere Entwicklungsphase weltfremde Mystik oder andere Ausflüchte stürzen, die letztlich überlebt sind und zu nichts führen. Vielmehr solle man – wie bei Spengler – den Prozeß als einen unumkehrbaren annehmen und ihn aus unserer eigenen Lebenswirklichkeit heraus kritisieren.

Die Sehnsucht nach einer höheren Sinnebene bleibt

Kulturpessimismus kann Grau zufolge dazu beitragen, „dass das Projekt Aufklärung, das einmal als Emanzipation von angeblichen Glaubensgewissheiten und eingefahrenen Denkschablonen begann, nicht an sich selbst zugrunde geht“. Folgt man seinen Ausführungen hätten wir sowieso keine andere Wahl, was das Buch zu einem lesens- und diskussionswürdigen Ausgangspunkt über den kulturellen Wandel unserer Zeit macht.

Alexander Grau: Kulturpessimismus – Ein Plädoyer, zu Klampen Verlag, 2018, 160 Seiten, 16 Euro.

(Portrait: Michael Lebed)

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