„Was will das totalitäre Eritrea?“, könnte man abschätzig meinen. Formuliert doch sein Außenministerium nach dem Einmarsch der Russen in die Ukraine – gegen dessen Verurteilung in der UN-Vollversammlung es zusammen mit Belarus, Nordkorea, Eritrea, Syrien und Russland stimmte – in einer Pressemeldung:
„Dies ist keine Krise, die gestern ausgebrochen ist. Die Saat der gegenwärtigen Krise wurde in den letzten dreißig Jahren von Herrschafts- und Hegemonialmächten gelegt, die eine unipolare Weltordnung errichten wollten, und sie braut sich seither zusammen. Die unvermeidliche Folge dieser fehlgeleiteten und gefährlichen Politik war die Einkreisung und Eindämmung Russlands, da es als das Haupthindernis für ihre Ziele angesehen wurde.“
Oder hat das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten Unrecht mit seiner Einschätzung, dass es seit Jahrzehnten einen übergreifenden Plan gebe „die Schlinge um Russland immer enger zu ziehen“? Wohl kaum, wenn man sieht, wie unabdingbar die NATO, die USA und die EU (garniert mit Putin-Mordaufrufen seiner Politiker) aktuell auf eine weltweite Isolierung Russlands drängen. Sich aus dem Bruderkrieg zwischen der Ukraine und Russland herauszuhalten und nicht permanent Öl durch massive Waffenlieferungen an die Ukraine ins Feuer zu gießen, wäre die andere Option.
Putins Bemühungen in den ersten Jahren seiner Präsidentschaft, gute Beziehungen mit dem Westen aufzubauen, waren aufrichtig. Doch die nicht eben zu einem wertschätzenden Verhalten neigende westliche Welt behandelte ihn vorrangig wie den Häuptling eines Indianervolks. So sabotierte sie provokativ die Umsetzung des Minsker Abkommens, deren Verhandlungen zur Realisierung maßgeblich unter deutscher Regie geführt wurden. Außerdem lehnte es die NATO bis zum Schluss ab, einen Beitritt der Ukraine zu verweigern. Gleich mehrere NATO-Staaten reagierten auf die russische Forderung, die Ukraine nicht in das Bündnis zu integrieren, „indem sie die ukrainischen Streitkräfte noch umfassender aufzurüsten begannen“, wie German-Foreign-Policy schreibt.
Als die westlichen Mächte nach den ersten beiden Runden der NATO-Osterweiterung Anfang 2014 in Kiew eine Umsturzregierung an die Macht brachten, der mehrere Minister der faschistischen Partei Swoboda angehörten und die seitdem eindeutig auf einen NATO-Beitritt der Ukraine zusteuerte, verlor die Ukraine ihren neutralen Status und Russland seinen Puffer zwischen dem russischen Kernland und Europa, der im Krieg gegen das napoleonische Frankreich ebenso wie in den beiden Weltkriegen gegen Deutschland eine „entscheidende Voraussetzung für die Sicherheit des russischen Staates“ war, wie die US-Denkfabrik Carnegie Endowment zu bedenken gibt.
Die Forderungen des russischen Präsidenten scheinen vor diesem Hintergrund plausibel:
„Einen Waffenstillstand, die Aufnahme der ukrainischen Neutralität in die Verfassung der Ukraine und damit ein garantierter Ausschluss eines NATO-Beitritt des Landes, die Anerkennung der Krim als russisches Staatsgebiet sowie die Anerkennung der Volksrepubliken Donezk und Luhansk als unabhängige Staaten.“
Doch der Wertewesten kennt nach Russlands Einmarsch in die Ukraine nur noch eine Stoßrichtung gegen Putin (alias: „Iwan der Schreckliche, Adolf Hitler, Benito Mussolini, Alexander III., Slobodan Milosevic, ein Tyrann“, dessen legitime Ermordung die katholische Wochenzeitung Die Tagespost ganzseitig eruiert): Russland durch Sanktionen maximalen Schaden zufügen. Frankreichs Wirtschafts- und Finanzminister Bruno Le Maire: „Wir werden einen totalen Wirtschafts- und Finanzkrieg gegen Russland führen. Wir werden die russische Wirtschaft zum Zusammenbruch bringen.“
Hier liegt keine rationale Analyse zugrunde, sondern ein banaler Hollywood-Plot: Putin zeigt sein wahres Schurkengesicht und überfällt aus dem Nichts die Demokratie-Fackel Ukraine. Nun muss sein Skalp her! Für den durchschnittlichen europäischen Politiker ist diese von den USA angebotene, intellektuell rückständige Perspektive völlig ausreichend. Auch die Medien zeigen keine Bereitschaft, die Vorstufen der Eskalation zwischen Russland und dem Westen auszuleuchten. Der US-amerikanische Filmemacher Oliver Stone, der in einer Interviewreihe von 2015 bis 2017 Putin als „sehr ehrlich und offen“ erlebte, schrieb hingegen am 9. Februar auf seiner Facebook-Seite:
„We’re all worried about the Ukraine situation – but unless you live outside the US, it’s very hard to understand through Western media how screwed up this has gotten. Any semi-accidental spark, at this point, could set off the whole powder factory.“
Zwei Wochen später fliegt die Pulverfabrik in die Luft. Was wusste Oliver Stone, was die im Tal der Ahnungslosen lebenden deutschen Mediennutzer nicht wissen?
Einblick gewährt Natalja Witrenko, Vorsitzende der Progressiven Sozialistischen Partei der Ukraine und frühere Präsidentschaftskandidatin, am 19. Februar für das Schiller-Institut:
„Wir erleben in den letzten zwei oder drei Monaten, im Grunde seit letztem Herbst, eine besondere Art militaristischer Psychose. Soweit ich weiß, haben die USA allen ihren Satelliten grünes Licht gegeben, so dass nicht nur sie selbst damit begannen, eine regelrechte Lawine von Waffen in die Ukraine zu schicken, sondern auch die baltischen Länder, Polen, Kanada und das Vereinigte Königreich. Sie alle, beunruhigt über die Geschehnisse in der Ukraine, begannen plötzlich, angeblich zum Zweck der Verteidigung der Souveränität und territorialen Integrität der Ukraine gegen Russland, immer mehr und mehr Waffen in die Ukraine zu liefern.
Infolge der Naziideologie „ukrainischer integraler Nationalismus“, die zur offiziellen Ideologie der ukrainischen Regierung geworden ist, sind Menschen mit russischer Kultur, Angehörige ethnischer Minderheiten, zu Menschen zweiter Klasse geworden. Sehen Sie mich an: Ich bin ethnisch ukrainisch, aber meine Muttersprache ist Russisch. Ich kann mir nicht vorstellen, außerhalb der russischen Zivilisation zu leben. Aber alle russischen Fernsehsender und alle Sendungen in russischer Sprache wurden in der Ukraine verboten. In den Gerichten, Regierungsbehörden, Schulen und Universitäten wird nur Ukrainisch gesprochen. Und ständig wird die Psychose geschürt, dass die „Moskowiter“ vernichtet werden müssen. Das wird offen gesagt, im Fernsehen.“
So flohen in den acht Jahren vor dem 24. Februar 2022 bereits knapp fünf Millionen Russen aus der Ukraine bzw. dem Donbass nach Russland.
Weltmacht Russland?
Noch 1985 musste die UdSSR 47 Millionen Tonnen Getreide kaufen. Heute ist Russland zum weltweit größten Weizenexporteur aufgestiegen, so dass es als „der neue Brotkorb der Welt“ gilt. Waren in den 1980er Jahren knapp dreißig Länder auf der Erde von Lebensmittelimporten abhängig, sind es heute über hundert. Der Krieg in der Kornkammer Ukraine und Sanktionen auf russische Weizen- und Düngemittelexporte lassen folglich Experten vor Hungersnöten in ärmeren Staaten warnen, insbesondere in Ostafrika, wo das eingangs erwähnte Eritrea liegt, welches mit dem Konflikt zwischen den westlichen Mächten und Russland nichts zu tun hat, aber den Blutzoll zu entrichten hat für expansionslüsterne, die Ukraine bereits ideologisch für sich vereinnahmt habende Europäer bzw. Deutsche, die der US-Hegemon vor seinen Karren gespannt hat.
„Eine unipolare oder polarisierte Weltordnung steht im Widerspruch zu den Grundpfeilern eines robusten Multilateralismus sowie zu den erhabenen Bestrebungen der Mehrheit der Völker und Nationen der Welt“, schreibt Eritreas Außenministerium abschließend in der oben zitierten Pressemeldung.
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