Gesichtet

Poker oder Skat?

Lässig sitzt man an einem großen grünen Tisch. Der weiche Stoff schmiegt sich an die dicken Plastikspielkarten. Die sieben Euro Sonnenbrillen von H&M sieht an keinem der Beteiligten auch nur ansatzweise gut aus.

Im Alter zwischen 16 und 20 Jahren sitzen die Spieler hinter riesigen Haufen Chips. Schwere rote Chips, bunte blaue Chips, glänzend silberne Chips werden zusammen mit einem englischen Ausdruck in die Mitte geworfen. Check, Raise, Fold, viel größer ist das Repertoire nicht. Manchmal kommt ein Reraise. Die jungen Kerle spielen Poker. Das Spiel, das sich wie kein anderes als Parabel für die moderne Gesellschaft eignet.

Ökonomie

Junge Leute, die kaum ein eigenes Einkommen haben, spielen mit dem Taschengeld ihrer Eltern. Dieses tauschen sie in glänzende Chips ein, die funkelnd vor ihnen liegen. Gedeckt ist der prächtige Berg allerdings mit einem Gegenwert von nur fünf oder zehn Euro. So wird der Berg auch verkonsumiert. Am Anfang eher vorsichtig, wenn es dann etwas schlechter läuft, denkt man sich:„Es sind ja nur die paar Euro“ und buttert den Rest nach. Ganze Berge von Chips werden hin und hergeschoben, macht man sich allerdings darüber Gedanken, steht allzu oft ein Chip für gerade einmal fünf Cent. In cooler „Vegasoptik“ wirkt er eher wie 1000 Euro.

Psychologie

Poker basiert zu großen Teilen auf Bluffen, das sich seit Jahren als schöner Neologismus für „Angeben“ oder „Vortäuschen“ eingebürgert hat. Als guter „Täuscher“ gewinnt man beim Poker. Man muss nervenstark sein, und das „Lügen“ bis zum Ende durchziehen. Dazu kommt ein gigantischer Pokerlifestyle. Poker ist kein Spiel, sondern eine Kultur. Auf allen Kanälen. In Poker-T-Shirts sitzt man am Pokertisch, schaut danach einen Pokerfilm und an der Wand hängen Pokerposter von den eigenen Lieblingsspielern.

Philosophie

Poker basiert in hohem Maße auf Glück. Dank dem Gesetz der großen Zahlen relativiert sich der Dusel zwar irgendwann, aber als vollkommener Depp kann man in einer Runde durchaus ein gutes Ergebnis erreichen. Natürlich hängt Poker auch vom Können ab, nicht ohne Grund sitzen an der Weltspitze sehr oft die gleichen Leute.

Aber: Bis zu einem gewissen Niveau kommt man mit Glück sehr weit. Gleichzeitig erreicht man mit Auswendiglernen viel. Wenn man sich eine Handvoll mathematischer Chancen, den sogenannten „Odds“, merken kann und sich auch daran hält, kann man „nach Plan“ oft Runden für sich entscheiden. Die Regeln beherrscht ein aufmerksamer Spieler nach fünf Minuten. Man kann direkt loslegen. Dazu kommt eine „Alles-oder-nichts“-Mentalität, die man in jeder Runde aufs Neue denken kann. Beim „Alles“ wirkt Ruhm und Sieg innerhalb weniger Sekunden, beim „Nichts“ ist man draußen und wird verstoßen. In jeder Runde spiel Jeder gegen Jeden. Konfrontation im Minutentakt.

Pokerhype gegen Kartenkultur

Ich muss gestehen, ich war auch einer der risikofreudigen Unterdurchschnittsspieler. In den letzten Jahren hat sich der Pokerhype aber immer weiter gelegt und der Freundeskreis wird auch langsam älter. Beim Warten auf unser Essen in einem urigen Lokal kam uns die Idee eine Runde Skat zu spielen.

Zwei kannten die Regeln, zwei Leute mussten sie lernen, doch mittlerweile ist die Geduldsspanne auch mal so lange, sich etwas länger mit einem Regelwerk zu befassen. Es hat unglaublichen Spaß gemacht. Ich war wieder angefixt. Als Kind habe ich eine Zeit lang Skat gespielt, aber aufgrund der Rechnerei, der andauernden Aufmerksamkeit verliert man schnell die Lust. Jetzt habe ich wieder angefangen.

Mangels verfügbarer Spielpartner sehe ich mich zwar noch oft gezwungen online zu spielen, aber auch da lernt man schnell. Dazu kommt ein unglaublich freundlicher Umgangston, den ich weder vom Onlinepoker noch von diversen anderen Games kenne. Wo sich sonst munter beleidigt wird, sehen die Chatverläufe beim Skat harmonischer aus als das Gesäusel zwischen zwei Frischverliebten. Ob dies dem Alter der Spieler oder dem Spiel an sich geschuldet ist, lässt sich nicht zweifelsfrei festlegen. Vermutlich beides.

Skat ist das exakte Gegenteil von Poker – und, wie ich finde, schon im Spielcharakter typisch deutsch. Man kann sich nicht aufs Glück verlassen, sondern muss aktiv mitdenken und sich der gegebenen Situation anpassen. Gleichzeitig kann man als Einzelkämpfer das Spiel machen, oder im Team gegen den Einzelnen spielen. Wer zu hoch hinauswill und sich überreizt, wird nicht belohnt, sondern bestraft. Das Glück hilft einem nur manchmal weiter. Dazu ist eine „Skatserie“ in viele Einzelspiele aufgeteilt. Man muss also Konstanz zeigen und kann nicht auf den einen Wink Fortunas warten. Zurücklehnen ist unmöglich – in jedem Stich muss man mitdenken.

Auf der Suche nach der deutschen Kultur

Das Kartenspiel ist ein Stück deutsche Kultur, das weder auf Trinken oder Essen beruht, noch lokal oder föderal komplett verschieden ist. Ein Stück deutsche Kultur, das nichts mit den „langweiligen“ Tugenden wie Fleiß, Ordnung oder Disziplin, zu tun hat. Mit denen hat man zwar beinahe zwei Weltkriege gewonnen und danach ein zerstörtes Land zur Blüte geführt – noch immer brummt der Motor – aber besonders attraktiv muten diese Eigenschaften nicht gerade an.

Ein Stück deutsche Kultur, das noch immer lebendig ist und nicht in den Museen oder den Bücherschränken verstaubt; und vor allem ein Stück deutsche Kultur, das nichts mit „Hochkultur“ am Hut hat, fernab von berühmten Künstlern, Musikern, Architekten und Politikern. Ein Spiel für jedermann. Auch kann ich mir schwerlich vorstellen, dass das Spiel irgendwann von „Neubürgern“ frequentiert werden sollte, wie der Fußball, um das prominenteste Beispiel zu nennen. Dafür ist Skat, auf den ersten Blick, oder ist besser gesagt die ersten Stunden, einfach zu actionarm und ohne Erfolge. Es wird zu viel getrunken, zu viel dummgeschwätzt, aber eben auch zu viel nachgedacht.

1813 auf typisch deutsche Weise erfunden

1813, so vermutet man, wurde Skat erfunden. Um den Ursprung ranken sich viele Legenden. Angeblich trafen sich drei honorige Ratsherren und wollten wieder mal eine Partie wagen. Leider konnten sie nicht dieses Mal nicht auf das Spiel einigen. Also wurde in hegelianisch-deutscher Art Synthese betrieben: Sie vermischten die Regeln von Tarock, Schafskopf und L’Hombre zu einem gänzlich neuen Spiel. Dieses verbreitete sich rasend schnell durch die teutschen Landen und wurde auch von Auswanderern mit in ihre neue Heimat gebracht.

Im Verlauf des 19. Jahrhundert wuchs das Spiel rasant an. Es entstanden im Deutschen Bund, später im Deutschen Reich, schließlich in der ganzen Welt, tausende Skatvereine. Aber wie das mit Spielen so ist, kennt jeder eigene Regeln und Nuancen. Insbesondere im Flickenteppich-Deutschland mit fast 40 Fürstentümern.

So waren es lange Zeit regionale Feinheiten und Differenzen, die der deutschen „Skateinigung“ im Wege standen. Über Jahrzehnte hinweg verhandelten die deutschen Skatkongresse über ein einheitliches Spiel, wie wir es heute kennen. Bis die „Neue Deutsche Skatordnung“ 1928 in Altenburg, der Geburtsstadt des Skates, verabschiedet wird, vergehen über 100 Jahre.

Trotzdem kamen noch weitere Änderungen hinzu, auch ein Konflikt mit dem internationalen Skatverband blieb nicht aus. Mittlerweile haben sich die Wogen geglättet. Vor einem Jahr wurde Skat sogar zum immateriellen deutschen Kulturerbe erklärt, was in meinen Augen eher auf einen Abgesang, als auf pulsierende Kultur hindeutet.

Ganz zentralistisch geht’s doch nicht

Die meisten Regeln sind also mittlerweile harmonisiert, allerdings geht das selbst mit Kongressen, Tagungen und Beschlüssen nur bis zu einem gewissen Grade. Ich erinnere mich daran, als Jugendlicher jemanden gefragt zu haben, warum das Spiel denn überhaupt „Skat“ hieße. Dieser guckte mich an wie ein Auto und sagte nur: „Na, weil man den Skat aufnimmt.“ Ich antwortete: „Du meinst die zwei Karten? Das ist doch der Bock.“

Er sagte: „Was? Bock kommt nach Re“. Ich fragte den Dritten. Der schaute skeptisch und sagte nur: „Bockrunden zählen doppelt.“ Drei Begriffe mit vollkommen unterschiedlichen Bedeutungen. In diesem Sinne gibt es hunderte Beispiele. Das fängt beim Austeilen der Karten (Hier gibt man 5–2–5, du Städter!)  und hört bei den hunderten „dummen“ Plattheiten im Spiel auf, die schon oft den Parodien diverser Komiker wie Harald Schmidt (siehe Video unten) oder Dieter Krebs zum Opfer gefallen sind.

Populärstes Beispiel ist sicherlich das Kartenblatt: Jemand, der an das französische Bild – ich behaupte mal dreist, das bekanntere – gewöhnt ist, blickt beim deutschen Blatt nicht durch. Das ist hauptsächlich in Süddeutschland vertreten und unterteilt sich wiederum in diverse regionale Unterschiede.

Warum soll man Skat spielen?

Wem die bisherigen Vorzüge noch nicht reichen, einige weitere Punkte. Man kann zwar natürlich um Geld spielen, allerdings geht es eigentlich ums Spiel und die Gesellschaft. Das geht dann meist soweit, dass man nach jeder Runde gemeinsam mit seinen „Gegnern“ rekapituliert: Wie hätte man anders spielen können und was waren die Knackpunkte und Fehler im Spielverlauf? Dazu gehört Bier in Maßen, wenn man gewinnen will, in Mengen, wenn man Spaß haben will und natürlich wird geraucht. Vermutlich aber auch nicht mehr lange.

Wer das Spiel ernsthafter angehen will, kann sich in einem Skatverein anmelden oder beim Preisskat mitmachen. Dort gewinnt man aber keine Millionen oder eine Yacht wie beim Poker, sondern ein kleines Taschengeld oder eine Weihnachtsgans.

Liebe Freunde, lernt Skat oder bringt es euren Freunden bei, und verbannt die Pokerchips und die Deppenspiele wie Burfy, Mau-Mau, Kniffel oder Mäxchen zurück in den Kindergarten. Pflegt die deutsche Kultur. „Pokerkultur“ ist kommerzialisiertes Angebertum aus den Staaten, Skat ist gewachsenes Brauchtum aus deiner Heimat. Also Männer, spielt Skat!

Und wenn Mann mal keinen dritten Kerl findet, schnappt euch eure Herzdame. Was, die will nicht? Sollte sie besser. Denn wie der berühmte Moderator Robert Lembke bemerkte: „Die erfahrene Hausfrau lernt Skat. So kann sie ihren Mann bis ins hohe Alter reizen.“

Skat bei Harald Schmidt:

(Bild: Pixabay)

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