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Fakten zur Migration: Religion und Staat

saekulaere staaten weltweit
Die Karte zeigt die Staaten mit Staatsreligion (rot) und die ohne Staatsreligion (blau) / Wikimedia / Cihuaweb / CC BY-SA 3.0

In einem Kommentar für diesen Webblog kritisierte Wenzel Braunfels das „islamophobe Halbwissen möchtegern-rechter Wutbürger“. Der eingeforderte Vorrang staatlicher Gesetze gegenüber religiösen Vorschriften sei falsch. Doch diese Diskussion über den Stellenwert staatlichen Rechts und religiöser Vorschriften bewegt sich im luftleeren Raum.

Bei der gefühlt zwanzigsten Neuauflage des Streites zwischen „richtigen Konservativen“ und „Islamkritikern“ werden schon wieder persönliche Religiosität mit Religion als sozialem Phänomen verwechselt. Es zeigt sich hier mehr als deutlich, worin das Kernproblem des christlichen Konservatismus besteht: Auch die Christlich-Konservativen wissen längst nicht mehr, was eine religiöse Ordnung eigentlich ist.

Persönliche Gottsuche ist das Gegenteil einer gottgegebenen Ordnung

Der Erfahrungshorizont eines heute im Westen Aufgewachsenen schließt dies nämlich nicht mehr ein. Da er in einer säkularen Ordnung aufgewachsen ist, ist ihm das Konzept gefühlsmäßig selbst dann fremd, wenn er es theoretisch begreifen sollte. Fast immer hat er irgendwie „zu Gott gefunden“. Von diesem Punkt ist aber eine religiöse Ordnung nicht verständlich und deshalb scheitern auch alle Versuche von ihm, sich in den Islam einzufühlen. Es fehlt die Erfahrung eines Umfeldes, in dem der Glaube selbstverständlich ist und das alltägliche wie das politische Leben normiert.

Das aber nennt man gottgegebene Ordnung. Sie beruht nicht darauf Gott zu suchen oder zu finden, sondern darauf, an ihn zu glauben, weil es alle anderen auch tun. Dies ist im Islam der Fall, in seinen Herkunftsländern sowieso, aber auch in hiesigen Parallelgesellschaften.

Das kann man nicht unter Gewissensfreiheit abheften

Das Umfrageergebnis – übrigens nur unter in Europa lebenden Muslimen erhoben –, wonach zwei Dritteln der Muslime ihre religiösen Vorschriften wichtiger sind als die Gesetze des Landes, in dem sie leben, ist alles andere als eine Frage der Gewissensfreiheit.

Gewissensfreiheit? Selbstverständlich, auf dieses Ideal der Aufklärung läuft nämlich die Argumentation hinaus, wonach man es Gläubigen mindestens nachsehen müsste, wenn sie religiöse Gebote über die „Paragraphenreiterei“ des staatlichen Gesetzes stellen. Und zwar solle das für Gläubige nicht etwa eines bestimmten, für wahr gehaltenen Glaubens gelten, sondern prinzipiell für alle.

Das ist die aufklärerische Formel von der Gewissensfreiheit, die immer schon daran krankte, dass sie nur als individuelle Ausnahme von der Norm funktionierte. Fangen Gruppen an sich darauf zu berufen, was man ihnen aber gemäß der Logik der Gewissensfreiheit schwer verweigern kann, ist sie ein Rezept für den Bürgerkrieg. Denn keine Ordnung kann bestehen, wenn ein großer Teil der in ihr Lebenden sie nicht anerkennt – außer durch nackte Gewalt.

fakten zur migration islamHier geht es um eine Freund-Feind Unterscheidung

Wird eine Religion aber innerhalb ihrer Gemeinschaft ernst genommen, so hört sie auf Sache des Einzelnen zu sein. Sie wird zumindest zum sozialen Regulativ. Im Extremfall begründet eine ernst genommene Religion eine politische Gruppe als konstituierendes Element. Dann begründet sie die Gemeinschaft als Eigengruppe gegenüber Fremdgruppen.

Die hier umstrittene WBZ-Umfrage läuft auf diese schmittsche Freund-Feind Unterscheidung hinaus. Welchem politischen Gebilde, welcher Ordnung gilt die Loyalität? Sie bestätigt nur was längst eindeutig ist. Das in Europa eine muslimische Parallelgemeinschaft – keine Parallelgesellschaft – existiert, die den europäischen Staaten eine religiöse Ordnung entgegensetzt. Auf nichts anderes macht unsere Grafik „Fakten zur Migration“ aufmerksam.

Man denke sich einmal wirklich in den Islam hinein,…

Aus dieser Parallelgemeinschaft stammen bei weitem nicht nur die Attentäter von Paris, aber an ihnen wird das Problem besonders deutlich. Man versuche an dieser Stelle doch einmal tatsächlich, sich in andere Kulturen hineinzudenken. Aus islamischer Sicht ist Charlie Hebdo nicht nur ein Schmierblatt, dessen Geschmacklosigkeiten gerade noch so unter Meinungsfreiheit fallen. Charlie Hebdo ist für jeden halbwegs gläubigen Moslem eine Verbrecherbande.

Mit der Verächtlichmachung Mohammeds vergriff sich die Zeitschrift an einem grundlegenden Rechtsgut der islamischen Ordnung: Der Autorität des Propheten. Zu allem Überfluss wurde sie dabei auch noch vom französischen Staat gedeckt. Ein Muslim kann die Mittel der Attentäter ablehnen, aber kaum ihre politische Stoßrichtung.

…dann kehre man vor der eigenen Haustür,…

Man sollte hier aber nicht ständig auf den Islam zeigen. Was weite Teile der Islamkritik so schwer erträglich macht, ist das ständige Herumreiten auf Eigenschaften der islamischen Gemeinschaft. Denn diese teilt sie mit allen anderen menschlichen Gemeinschaften, auch wenn sie einiges vielleicht radikaler vollzieht:

Dazu gehören die Konstituierung als Eigengruppe gegenüber Fremdgruppen und die Aufwertung der Eigengruppe bei der Abwertung von Fremdgruppen. Ebenso teilt die islamische Gemeinschaft mit allen menschlichen Gemeinschaften die Bereitschaft, den Interessen der Eigengruppe Priorität gegenüber denen von Fremdgruppen zu geben. Und last but not least gehört dazu auch die Bereitschaft, die Wahrheiten und Verhaltensregeln der Eigengruppe als allgemein verbindlich durchzusetzen.

…dann überdenke man das Verhältnis von Religion und Staat.

Als sich im Abendland eine säkulare Ordnung durchsetzte, hat sich an diesen Prinzipien der Gemeinschaftsbildung übrigens nichts geändert. Doch die Religion nimmt bei uns seither eine gänzlich andere Position ein als im Orient. Der metaphysische Glaube wurde Privatangelegenheit. Daran ändert sich auch nichts, wenn man die nun verbindlichen Werte der Aufklärung als säkularisiertes Christentum begreift.

Diese Säkularität ist eine Grundvoraussetzung des abendländischen Staates. Der Staat entstand nach den Religionskriegen durch die Abhebung von und die Neutralität gegenüber den Religionen. Dazu gehört auch, dass das staatliche Gesetz über jedem privaten Glauben steht. Auctoritas non veritas facit legem (Autorität, nicht Wahrheit schafft das Gesetz). Diesem Grundsatz Thomas Hobbes stellte er einen zweiten, weniger bekannten gegenüber: Veritas non auctoritas facit jus (Wahrheit, nicht Autorität schafft die Gerechtigkeit).

Zusammengenommen bedeutet dies, dass zwar die Gerechtigkeit eine Frage der Wahrheit und damit des Glaubens ist, das Gesetz aber wird von der (Staats-)Autorität gesetzt. Dieses Gesetz ist verbindlich. Stellen ein Einzelner oder eine kleine Gruppe ihre Vorstellung von Gerechtigkeit über das Gesetz, werden sie als Verbrecher bestraft. Stellt eine relevante Gruppe ihre Vorstellung von Gerechtigkeit über das Gesetz, bedeutet das Bürgerkrieg. Dieser mag gerecht, fromm, notwendig oder auf andere Art gerechtfertigt sein. Aber er ist eine ernsthafte, politische Angelegenheit und für niemanden Privatsache oder Gewissensfreiheit.

Der säkulare Staat kann auch vom Christentum her begründet werden

In Europa wurde nach dem Dreißigjährigen Krieg deshalb die Religion von der Politik entkoppelt. Den christlichen Konfessionen fiel es auch vergleichsweise leicht, das zu akzeptieren. Denn die Trennung von Kirche und Staat kann durchaus auch von der christlichen Religion her begründet werden. „Mein Reich ist nicht von dieser Welt“ (Joh. 18:36) oder „So gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist und Gott, was Gottes ist“ (Mt. 22:21; Mk. 12:17; Lk. 20:25) wurden immer wieder in diese Richtung ausgelegt. Der Konflikt mit dem Islam, in dem wir uns befinden, beruht nicht zuletzt darauf, dass diese christliche Interpretation aus der Perspektive einer islamischen Ordnungsvorstellung inakzeptabel bleibt.

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