Nicht immer ist die Sicht der akademischen Forschung auf die schulischen Zustände hierzulande direkt nachvollziehbar. Vor allem dann nicht, wenn die Wirklichkeit des gelebten Schulalltags mit Erkenntnissen bei einer Studienerstellung nicht in Einklang zu stehen scheint.
Der SWR Aktuell meldete Ende April auf seiner Online-Plattform: „Die Schulleiterin der Gräfenauschule in Ludwigshafen hat vor kurzem Alarm geschlagen: 40 Erstklässler bleiben im Sommer wohl sitzen.“ In der Tat haut diese Nachricht nicht nur jeden erfahrenen Pädagogen, jeden Lehrer um. Allgemeine Ratlosigkeit macht sich breit, die Kausalzusammenhänge werden diskutiert. Fakt ist, dass an der genannten Schule 450 Kinder unterrichtet werden, von denen 98 Prozent einen Migrationshintergrund haben.
Claudio Casula schreibt:
Die Kinder sprechen kein Deutsch, auch ihre Eltern haben „nur vier bis sechs Jahre“ die Schule besucht, sagt die Schulleiterin. Viele Schüler würden nur „sehr unregelmäßig“ zur Schule kommen. Begründung: „Mein Kind war müde und wollte etwas länger schlafen“ oder „Hat heute einfach keine Lust“. Auch die Eltern würden hin und wieder „nicht aus dem Bett kommen“. Dabei sind im aktuellen Schuljahr 137 Lehrerwochenstunden für zusätzliche Sprachförderung genehmigt worden, außerdem 42 Wochenstunden für Lernförderung. Einfach noch mehr Geld und Lehrer bewilligen, dann wird das schon. Hauptsache Vielfalt!
Das, was Casula schreibt, wird in gewisser Hinsicht vom Potsdamer Bildungsforscher Georg Lorenz in einer aktuellen, knapp 327.000 Euro kostenden Studie bestätigt: „In ethnisch diverseren Schulklassen haben Schülerinnen und Schüler mit Fluchthintergrund mehr Freundinnen und Freunde und erfahren weniger Ablehnung als in homogeneren Klassen.“
Und weil, so kann man bei news4teachers.de lesen, „ein positiver Kontakt mit Gleichaltrigen der Mehrheitsgruppe für den akademischen Erfolg und die schulische Anpassung von Schülern mit Migrationshintergrund entscheidend sei, könnte die Zuweisung von geflüchteten Jugendlichen an ethnisch vielfältige Schulen und Klassen auch ihre künftigen Lebenschancen fördern.“
Dem scheint der Ludwigshafener Vorsitzende des Beirats für Migration und Integration, Joannis Chorosis (CDU), der selbst einen Migrationshintergrund hat, zu widersprechen, denn Probleme mit Sprache und Integration bereiteten nicht Kinder der Familien aus der Türkei, Italien und Griechenland, die hier bereits in zweiter oder dritter Generation lebten, sondern vor allem Menschen aus Bulgarien, Rumänien oder Flüchtlinge aus dem nicht-europäischen Ausland.
Chorosis: „Viele haben andere kulturelle Standards, weil sie aus völlig anderen Kulturen kommen“, und sie blieben auch unter sich. Möglich, dass Chorosis andeuten wollte, dass die anderen kulturellen Standards auch auf einer völlig anderen religiösen Sozialisation fußen, wobei ein politisches Naheverhältnis zu Thilo Sarrazin dadurch nicht unterstellt werden soll, das hätte Sarrazin nicht verdient.
Doch die Tatsache, dass in „ethnisch diverseren Schulklassen“ Schüler mit Fluchthintergrund mehr Freunde gewinnen und „weniger Ablehnung als in homogeneren Klassen“ erfahren, scheint eine Binsenweisheit. Denn das gemeinsame Schicksal verbindet, das Fremdsein als gemeinsames Schicksal schweißt zusammen – der Soziologe spricht von sich bildenden Peergroups und sieht positive Beziehungen zu Gleichaltrigen. Genau darin sieht Bildungsforscher Lorenz allerdings auch die Gefahr verstärkter Segregation.
Wer unter sich bleibt und sich absondert, der vernachlässigt nicht nur die für den Bildungserfolg notwendigen Kenntnisse der Mehrheitssprache, weil er über deutlich weniger Kontakte zu Schülern der Mehrheitsbevölkerung verfügt. Die Zuweisung von geflüchteten Jugendlichen zu Schulen mit größerer ethnischer Vielfalt kann die Absonderung insgesamt deutlich verstärken.
Die Aussage von Lorenz: „Entscheidend ist, dass die durch stetige Zuwanderung wachsende Vielfalt in Deutschland langfristig mehr oder weniger automatisch zu einem Abbau von ethnischen Ungleichheiten beitragen kann“ steht allerdings doch im klaren Gegensatz zu der komplexen Lage der eingangs erwähnten „Brennpunktschule“.
Möglich, dass sich irgendwann einmal die „ethnischen Ungleichheiten“ nivellieren, der Bildungserfolg allerdings bleibt – wie die 40 sitzengebliebenen Erstklässler belegen – wohl auf der Strecke. Einen Teil der Problemlösung bietet Lorenz jedoch an: „Unsere Ergebnisse zeigen, dass den geflüchteten Jugendlichen in Klassen mit geringer Vielfalt besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden muss, um Ausgrenzungsprozesse zu vermeiden und eine erfolgreiche soziale Integration zu ermöglichen.“
Hans-Peter Hörner ist AfD-Landtagsabgeordneter in Baden-Württemberg.
Bild: Pixabay
0 Kommentare zu “Schule mit 98 Prozent Migranten: Wie soll das gehen?”