Gesichtet

Vom volksfeindlichen Marktfundamentalismus

Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges hat sich im sogenannten Westen eine auf eigene, rein für den Geschäftsabschließenden lohnende unter möglichst weiträumigen Ausschluss des Staates basierende Gesellschaftsordnung Bahn gebrochen. Spätestens ab den 1990er Jahren weltweit.

Sicher gab es gerade in den protestantisch, besonders in den puritanisch geprägten Teilen der Erde schon lange vor der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts Entwicklungen, die demjenigen mit dem meisten Verkaufsgeschick und der scheinbar besten Ware, also dem Einzelnen gegenüber der Masse, den Vorrang einräumten. Doch ist diese Weise des Zusammenlebens und Wirtschaftens in den vergangenen 70 Jahren, nicht zuletzt durch die immer umfassendere und schnellere Vernetzung der Welt zu bisher unbekannter Macht und Durchschlagskraft angewachsen.

Freier Markt fördert nicht nur das Gute

Der Gedanke eines freien Marktes fußt auf der Annahme, dass der Mensch, wenn er nur gelassen wird, also durch möglichst weitgehende Abwesenheit staatlicher Eingriffe, durch eigene schaffende Kräfte auf einem lediglich durch Angebot und Nachfrage bestimmten Markt zum utilitaristischen Wohle der Nation wirke. Denn durch eben diese Verfahrensweise werde schließlich das erhalten oder besserenfalls gesteigert, was funktioniere und das Ineffiziente vergehe. Doch ist diese Annahme allzu kurzsichtig.

Ein freier Markt führt keineswegs nur zur Förderung des Guten und damit zu einer zivilisierten Gesellschaft, so wie es Adam Smith vorschwebte, sondern zur Herrschaft derjenigen, die gut mit dem, was sie haben und dem, was sie wie auch immer bekommen können, zu wirtschaften vermögen. Ein gutes Wirtschaften mit den verfügbaren Mitteln bedeutet aber auch eine Verengung des Blickes auf das Erwerben und das Einteilen von Produktionsgütern und Produktionskräften, das unter wirtschaftlich, das heißt vor allen Dingen unter finanziell günstigen Bedingungen zu produzieren und anschließend so gewinnbringend wie möglich zu verkaufen.

Daraus kann der Schluss gezogen werden, dass der an materiellen Dingen, insbesondere an Geld, zu ermessende Profit vor allen anderen Belangen eines erfolgreichen Unternehmens stehen muss. Darüber hinaus kann geltend gemacht werden, dass kleinere Unternehmen, welche sehr wohl effizient wirtschaften, bei Markteinbrüchen aufgrund des innehabenden geringeren Kapitals ohne äußere, also beispielsweise staatliche, Hilfe schneller vom Markt verschwinden können als größere. Ein trauriges Phänomen dieser Tage. Andererseits können Unternehmen je größer sie sind stärkeren Einfluss auf den Markt nehmen, beispielsweise indem sie bessere und mehr, oder überhaupt erst Werbung schalten. Von Korruption, welche auch in einem Nachtwächterstaat keinesfalls ausgeschlossen ist ganz zu schweigen.

Verständlicherweise neigen Marktteilnehmer, die den Profit vor Augen haben, eher dazu zu Lasten der Umwelt, der Arbeitnehmer, auch und vor allen denen im günstigeren Ausland, gesellschaftlich schwächerer Schichten und weiteren für die Profitsteigerung nicht notwendigen Dinge zu handeln.

Verengung der Sichtweise auf den einzelnen Menschen

Wichtige Triebfeder dieser Entwicklung ist die Vereinzelung, die Verengung der Sichtweise auf den einzelnen Menschen, seine Verwirklichung und sein Glück. Verständlicherweise kann hierbei der Staat, im weiteren auch das Volk als hinderlich wahrgenommen werden. Denn schließlich müssen Regeln zum Wohle anderer beachtet werden, die das Ich einschränken. Das Streben nach Glück endet allerdings häufig dort, wo der freie Markt endet. Das zu Erstrebende besteht ohnehin meist in der Befriedigung der niederen Triebe.

Zwar ist es durchaus sinnvoll zu essen und die Felder der Maslowschen Bedürfnispyramide abzuhaken, aber da ist doch so viel mehr, das vom freien Markt, auch dem der heutigen Ideen nicht mal bemerkt, geschweige denn erwähnt wird. Denn Ehre, Heimat und Volk lassen sich nicht verkaufen. Bestenfalls gibt es Tiroler Landjäger neben originalen Nordseekrabben im Angebot und allerbestenfalls wirbt ein Unternehmen mit seiner Zuverlässigkeit oder seiner, freilich nur produktbezogenen regionalen Verbundenheit.

Den allermeisten Teilnehmern jenes freien Marktes, gerade den erfolgreicheren, sind auch solche Dinge fremd. Familie, Volk, Heimat und Nation sind, wenn nicht gerade platt und oberflächlich als Produkt, eher hinderlich. Denn diese Dinge schaffen Verbindlichkeiten, bauen Verpflichtungen und Grenzen auf. Natürlich sind viele Unternehmen, wie bereits oben ausgeführt, an einer günstigen Produktion und Rohstoff- sowie Arbeitskräftegewinnung, die oft in Schwellenländern stattfindet, interessiert.

Grenzen unerwünscht

Die Beurteilung, inwieweit das etwas mit Rassismus, also den erblichen Eigenschaften der Bewohner eben jener Schwellenländer zu tun hat, oder zumindest mit der Benachteiligung dieser, aufgrund der Art, in der diese Menschen „gelesen“ werden, so wie es häufig von einigen altlinken Positionen behauptet wird, oder ob die Genetik der Arbeitskräfte völlig egal ist, sofern diese nur billig sind, sei jedem selbst überlassen.

Doch sind zweifelsohne Grenzen des Nationalstaates, die einen freien Waren-, Personen-, Geld- und Informationsverkehr behindern, in einer Welt des freien Marktes eher unerwünscht. Auch die Bindung an die Familie, ob nun Keimzelle des Staates oder nicht, ist ein Hemmnis. Kinder und pflegebedürftige Alte brauchen Zeit. Zeit, die nicht mehr für Konsum oder Produktion verwendet werden kann. Zudem lenkt die Familie, das Volk und die Heimat die Aufmerksamkeit von den oberflächlichen Verlockungen des Marktes ab.

Besser ist es für den Marktfundamentalismus, das vereinzelte Individuum zu haben. Es spielt für diese keine Rolle, ob sie in Leipzig, Sachsen, Deutschland und Europa oder aber heute in New York und morgen in Kapstadt sind, solange die Bezahlung stimmt und die Work-Life-Balance nicht aus dem Gleichgewicht gerät. Kinder und Partner sind egal, sofern die schnelle Bekanntschaft ein Stelldichein gibt, Tinder regelt das. Ob Arbeitskräfte und Konsumenten aus aller Herren Länder importiert werden, ist ebenfalls nicht von Belang, wichtig ist nur, ob dann, nach dem sanften Abgleiten in die Demenz, in Ermangelung eigener Kinder im Pflegeheim überhaupt jemand da ist, der dem freien Individuum den Allerwertesten abwischt, ob dieser Arnold oder Abdul heißt, ändert daran nichts.

Denn diesen Menschen ist es egal, wer sie sind oder wo sie sind und wer oder was um sie herum ist, solange sie nur die Leere in ihrem Leben mit Konsum füllen können.

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