Rezension

In Ordnung bringen statt erneuern

Der Psychoanalytiker Wolfgang Schmidbauer hat einen hervorragenden Essay über Die Kunst der Reparatur geschrieben. Ihm gelingt es aufzuzeigen, daß die Einstellung zum Reparieren eine Mentalitätsfrage ist. Möchte ich mich um alte Dinge kümmern? Sorge ich mich um menschliche Beziehungen und investiere Zeit, um Konflikte zu lösen? Und: Kann ich damit leben, daß etwas nicht perfekt und neu ist, sondern bereits Gebrauchsspüren trägt?

Aufgrund hypnotisierender Werbebilder macht Schmidbauer einen „Attraktivitätsverlust der Wirklichkeit“ aus. Das hat durchaus weitreichende Folgen: Bekommen Afrikaner Europa als Paradies auf Erden präsentiert, ist der Wunsch nach einer Übersiedlung nicht weiter verwunderlich. Zugegeben: Schmidbauer schießt hier mit seiner These übers Ziel hinaus und glorifiziert in typisch linker Manier den „edlen Wilden“, wenn er die „selbstgebaute Hütte im Slum“ dem „schlüsselfertigen Eigenheim“ vorzieht.

Doch ein gutes Buch lebt bekanntlich davon, dass man sich mit ihm auseinandersetzen kann. Das ist bei Schmidbauer insbesondere deshalb der Fall, weil er nicht nur über kaputte Fahrräder referiert und geplanten Verschleiß, sondern das Prinzip der Reparatur in allen Lebenslagen sucht. An einer Stelle betont er: „Tragfähige Beziehungen entstehen nicht durch unermüdliche Suche nach dem richtigen Partner und Selbstoptimierung durch Training und Kosmetik. Sie wurzeln in der Verarbeitung von Mängeln und Schwächen, in der Fähigkeit, sich kreativ und humorvoll von perfektionistischen Ansprüchen zu distanzieren, ohne den Gedanken an eine gemeinsame Entwicklung aufzugeben.“

Obwohl er ihn nicht erwähnt, erinnert diese Passage an Arnold Gehlens berühmtes Mängelwesen. Weil der Mensch nichts herausragend kann, muß er sich langfristige Institutionen aufbauen. Er braucht dafür Demut, Ausdauer und einen kreativen Erfindergeist, der aus der Not eine Tugend macht. Diese Haltung hat es heute freilich schwer. Schmidbauer verdeutlicht dies am Beispiel der Denkmalspflege: Es könne darüber gestritten werden, ob sie dazu beitrage, Werte zu bewahren, oder ob sie vielmehr einen Neubeginn unterdrücke. Sollten wir also den Kölner Dom abreißen und die Architekten des 21. Jahrhunderts um ein neues Design bitten? Das ist hoffentlich so abwegig, daß der Wert der Reparatur deutlich wird.

Dieser Beitrag erschien zuerst in: Recherche D, Heft 10

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