Rezension

Warhammer 40.000

Das 41. Jahrtausend ist hart, grausam, völlig überdreht und gegen alles, was man euch in der Schule beigebracht hat. Was fasziniert immer mehr Kinder der bunten Gesellschaft an den „Nazis im Weltraum“?

Von wenigen Ausnahmen abgesehen, übt sich das Genre der Fantasy und Science Fiction seit Jahrzehnten in der Kunst, aus den geplünderten Wrackteilen der Werke J.R.R. Tolkiens und Frank Herberts immer stromlinienförmigere Endverbraucherprodukte herzustellen.

Vor dem Hintergrund dieses Konkurrenzangebots wirkt Warhammer 40.000 wie aus der Zeit gefallen. Wie aus allen Zeiten gefallen. Denn es handelt sich hier nicht um einen jener Winkel, in denen die gute alte Zeit vor der großen Kulturrevolution ihr kümmerliches Reservatdasein fristet. Warhammer 40.000 wäre vor hundert Jahren undenkbar gewesen. Es ist ein Kuriosum der Popkulturgeschichte. Daß dieses Kuriosum seit nunmehr dreißig Jahren eine wachsende Fangemeinde vorzuweisen hat, sagt vielleicht mehr über die dunklen Ecken und Winkel der postmodernen Seele aus, als manch eine psychologische Studie.

Kein Produkt der Massenmedien

Was ist an Warhammer 40.000 (auch Warhammer 40k) denn bitte so anders? Es wäre einfacher zu sagen, was nicht. Das fängt bereits damit an, daß es kein Produkt irgendeines Massenmediums ist. Im Gegensatz zu allen bedeutenden Konkurrenzfantasiewelten und -universen entstammt es weder dem Film (Star Wars; Star Trek) noch dem Buch (Herr der Ringe; Dune; Harry Potter; Eragon). Warhammer 40.000 ist das Kind des britischen Spieleherstellers Games Workshop, entstanden als Tabletop Strategiespiel (Zinnsoldaten aus Plastik mit hundert Seiten Regelwerk).

Es wandte sich ursprünglich also an den überschaubaren Kreis der Modellbaufanatiker, hat sich aber seither auf beinahe sämtliche popkulturtauglichen Medien ausgedehnt. Inzwischen gibt es einen unüberschaubaren Berg an mehr oder minder lesbarer Franchiseliteratur, eine Reihe von Videospielen und Terabyte an Fanseiten und Onlinevideos, darunter Fanproduktionen, die wirklich mit Herzblut gemacht sind.

Die politische Korrektheit scheinen sie einfach nicht bemerkt zu haben

Nur ein Kinofilm fehlt bis jetzt und das ist nicht weiter verwunderlich. Denn zu behaupten, daß Warhammer 40.000 politisch unkorrekt sei, das entspräche in etwa der Aussage, daß ein Khorneberserker Aggressionsprobleme habe. Games Workshop ist nie auch nur im Ansatz politisch gewesen. Aber die Jungs dort haben sich in bester Autistenmanier immer einen Dreck um die Erwartungen geschert, die irgendwelche Gesellschaftsklempner möglicherweise an sie haben könnten, wahrscheinlich einfach deshalb, weil sie in ihren Bastelstuben deren Existenz gar nicht bemerkt haben.

Und sie kommen damit durch, was nicht zuletzt daran liegt, daß ihr „grimdark universe“ so überzogen ist, daß den wenigsten SJWs etwas dazu einfallen dürfte (und wenn doch, dann nur zum Gelächter der Fans). Das Imperium der Menschheit ist das intoleranteste, xenophobste und tyrannischste System, das man sich vorstellen kann. Geleitet von einem Gottimperator (die Trump-Memes als Gottimperator stammen daher), der seit zehntausend Jahren als lebende Leiche auf seinem goldenen Thron sitzt, kämpft es jeden Tag ums nackte Überleben.

Riesige, gotischen Kathedralen gleichende Raumschiffe durchqueren das All. In den Eingeweiden gigantischer Makropolen, in deren untere Ebenen nie ein Sonnenstrahl dringt, macht die imperiale Inquisition Jagd auf Verräter, Ketzer, Mutanten und … Schlimmeres. Sex mit Aliens gibt es zwar, aber er ist nicht Teil einer speziesverständigenden Liebesgeschichte in der galaktischen Föderation friedliebender vernunftbegabter Wesen, sondern hat andere Konsequenzen.

Menschenleben zählen nichts

Die Galaxis brennt, endlose Kriege verschlingen jeden Tag Millionen an Leben. Menschenleben zählen nichts und das Imperium ist bereit selbst ganze Planeten qua Exterminatus auszulöschen, bevor sie Feinden oder gar Verrätern in die Hände fallen. Ach ja, und das sind die Guten. Mit den Bösen fangen wir am Besten gar nicht erst an, sonst fällt dieser Artikel unter den Jugendschutz. (Es genügt zu sagen, daß manche Darstellungen hier wirklich transphob sind.)

Im durchpazifizierten, durchdemokratiserten, toleranzgeschulten Restabendland übt diese Fiktion auf viele Menschen eine Anziehung aus, die über die üblichen Kriegsspiele der Bildschirmsoldaten hinausgeht. Um sich fiktional von unserem verrottenden Dauerfrieden zu erholen, dazu reichen schließlich auch andere Produkte. Einen guten Teil dieser Anziehungskraft macht sicherlich die Tatsache aus, daß das Universum von Warhammer 40.000 in einem Maße europäisch ist, wie wenig anderes in der immer bunter werdenden Welt der Unterhaltungskultur.

Versatzstücke abendländischer Heldenkultes

Die gotischen Raumschiffe wurden bereits angesprochen. Hochgotisch (High Gothic) ist auch die heilige Sprache des Imperiums. Sie besteht aus dem, was die Entwickler noch vom Lateinunterricht behalten haben. Einen humanistischen Gelehrten würde das Ergebnis in den Selbstmord treiben, aber wer will da heutzutage noch kleinlich sein? Es hat einen Stil, in dem sich der seiner Identität beraubte Europäer eben besser wiedererkennt, als in dem globalen Pidgin-Englisch von Star Trek, Star Wars und Co.

In dem Maße, in dem die Marke Warhammer 40.000 bekannter wird, baut Games Workshop dieses Erkennungszeichen auch weiter aus. Vor einiger Zeit wurde bereits die Imperial Guard in Astra Militarum umbenannt. Nur das blöde „Space Marines“ für die ikonischen Krieger des Adeptus Astartes, das werden sie nicht mehr los.

Das Imperium ist ein bis ins Groteske gesteigertes Abbild abendländischer Heroenträume, etwas, daß in jeder früheren Zeit so karikaturenhaft gewirkt hätte, daß selbst Kinder peinlich berührt gewesen wären. Gleichzeitig spricht seine stilistisch herausgekehrte Tyrannei und Brutalität überhaupt nur zu denjenigen, die mit den alltäglichen Abwehrritualen gegen den sogenannten Totalitarismus aufgewachsen sind. Nur auf sie hat das die befreiende Wirkung eines Tabubruchs.

In Warhammer 40.000 kommt vieles an die Oberfläche, das auf dem Weg zur bunten Einheitswelt verdrängt wurde. Nicht nur der Kampf ums eigene Überleben und auch nicht bloßes Heldentum. Nicht unterschätzen sollte man die tiefempfundene Sehnsucht nach offenen Kämpfen, mögen sie auch noch so schrecklich sein, in unserer Zeit, in der der politische Kampf, gerade in der Öffentlichkeit, ein einziger Wettbewerb im Lügen und Verdrehen ist, bei dem man sich schmutziger fühlt, als hätte man gerade einen Nurgling geknutscht.

Warhammer 40k ist das Gegenstück gutmenschlicher Empathie

Und schließlich ist da noch etwas dunkleres, das sich an den Rändern unserer gesellschaftlichen Moral herumtreibt. Diese Moral tritt mit zwei Grundforderungen an den Menschen heran: Grenzenlose Toleranz und grenzenlose Empathie, zumindest solange es diejenigen betrifft, die für sich selbst den Status eines Opfers reklamiert haben. Dagegen sammelt sich in den kulturellen Seitengassen eine Schnoddrigkeit, die mit leichter Pose über Leid und Tod hinwegfährt und ein (noch) grummelndes: „Nein! Das ist falsch, das tolerieren wir nicht, weg damit!“

Am Ende des 41. Jahrtausends hat gerade der Indomitus Kreuzzug begonnen. Mal sehen, was daraus wird.

(Bild: Total War WARHAMMER, Natty Dread, flickr, CC BY-NC-ND 2.0)

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