Gesichtet

Wieso Franco ausgraben?

Endlich ist es wieder soweit: Die spanische Geschichtskultur schickt sich an, die Leiche des 1975 verstorbenen Diktators Francisco Franco aus seiner Gruft im Valle de los Caídos (Tal der Gefallenen) bei Madrid zu entfernen.

Der Gedanke der Exhumierung Francos wurde ernsthaft schon einmal vor gut zwanzig Jahren erwogen. Damals hatte die sozialdemokratische Regierung José Luis Rodríguez Zapateros´ ein demokratisches „Gesetz des historischen Andenkens“ (ley de memoria histórica fabriziert. Absicht des Gesetzes war die ideelle aber auch materielle Wiedergutmachung, sowie die Pflege des Andenkens der Opfer des Franquismus. Dazu gehörte auch das Aufsuchen und -graben von Massengräbern.

Geschichtskulturindustrie

Die linke spanische Historikerzunft war entzückt. Plötzlich wurde sie ernst genommen. Sie bekam politisches und moralisches Gewicht und konnte sogar Geld verdienen damit: Expertenkommissionen, Seminare, Auftritte in den Medien, Buchveröffentlichungen usw. ließen die Kassen bestimmter Historiker nur so klingeln. Grollende Zeitzeugen, wie der unverbesserliche Kommunist, Poet und Priestermörder Marcos Ana (Pseudonym für Fernando Macarro, der längste in Haft sitzende Kriegsgefangene des Franquismus), wurden zu moralischen Autoritäten hochstilisiert.

Eine ganze Geschichtskulturindustrie war damit beschäftigt, die Untaten der Francodiktatur aufzuarbeiten und dem „Volke“ jeden Tag aufs Neue zu Gemüte zu führen. Die Schulbücher wurden darauf ausgelegt, den Heranwachsenden vom „illegalen faschistischen Staatsstreich gegen eine legitime demokratische Regierung“ zu erzählen. Im Zuge der „demokratischen Bereinigung“ öffentlicher Räume sollten die letzten Denkmäler, Namen und Symbole der Diktatur getilgt werden. Schon damals wurde mit dem Zeigefinger auf das Tal der Gefallenen gedeutet und der Name „Franco“ ausgesprochen.

Die Wirtschaftskrise und ein Regierungswechsel legten das Gesetz auf Eis

Trotz der Bemühungen der Regierung Zapatero, das historische Gedächtnis Spaniens im demokratischen Sinne zu bereinigen, blieb das Tal der Gefallenen unangetastet. Eine  Expertenkommission (!) hatte auf die Schwierigkeit hingewiesen, den Leichnam Francos von dort zu entfernen. Dann kam die Wirtschaftskrise von 2008. Die Spanier hatten plötzlich andere Sorgen, als sich um Franco, dessen Untaten sowie historische Gerechtigkeit und Wiedergutmachung zu kümmern.

Zu allem Überfluss folgte auf den Sozialdemokraten Zapatero der liberal-konservative Mariano Rajoy. Dieser hatte herzlich wenig Interesse, den Kurs der angewandten Geschichtskultur weiter zu verfolgen. Zum Ärger von Historikern, Zeitzeugen und den betroffenen Familienangehörigen der Opfer wurde der Geldhahn für solche Luxusprojekte und Gefälligkeiten zugedreht, die politisch-ideologische Schützenhilfe durch den Staat eingestellt. Rajoy war aber weit entfernt davon, das Geschichtskulturgesetz zu kippen, so dass weiterhin fröhlich Damnatio memoriae betrieben werden konnte, wenn auch nur auf kommunaler Ebene und auch das nur, wo Bereitschaft dazu bestand.

Zum Linkssein gehört, die Exhumierung Francos zu fordern

Nun, mit der neuen sozialdemokratischen Regierung Pedro Sánchez´, besteht ein überaus lebhaftes Interesse daran, den Leichnam Francos zu exhumieren. Sánchez´ Regierung wird von verschiedenen Linksparteien sowie katalanischen und baskischen Nationalisten geduldet. Diese sind natürlich nicht gut auf Franco zu sprechen. Aber Sánchez selbst besitzt einen eigenen Antrieb, die Exhumierung Francos zu fordern, es entspricht nämlich seiner Definition „links“ zu sein.

Geplant war die Exhumierung noch für diesen Sommer. Das Schönste wäre gewesen, Francos höchstwahrscheinlich mumifizierte Leiche am 18. Juli, dem Tag des illegalen Militärputsches gegen die ach so demokratische, ach so fortschrittliche, ach so gute, ach so legitime Republik, zutage zu fördern. Leider ging das nicht, wegen der Unzahl juristischer Schwierigkeiten, allen voran dem mächtigen Benediktinerorden, welcher Eigentümer des monumentalen Komplexes im Tal der Gefallenen ist. Auch Francos Enkel und Urenkel haben erkennen lassen, dass sie die Regierung wegen Grabschändung anzeigen werden, wenn es zu einer Exhumierung des Diktators kommen sollte.

Es gibt keine vernünftigen Gründe, ihn auszugraben, nur niedere Beweggründe

Die interessante Frage bei alldem ist: Wieso Franco ausgraben? Es gibt viele Argumente. Ein besonders ignorantes lautet: „In Deutschland wäre so etwas mit Hitler unmöglich.“ Auf so einen Schwachsinn braucht man gar nicht erst einzugehen. Ja, es ist Schwachsinn oder extremste, ja, sogar sträflichste Ignoranz, Franco mit Hitler in ein und denselben Hut zu werfen.

Ein weniger blödes Argument macht auf die „historische Altlast“ aufmerksam. Die Gruft Francos im Tal der Gefallenen sei eine Belastung für die Demokratie. Ich meine, eine Demokratie sollte so etwas schon vertragen können. Verträgt sie es nicht, ist sie keinen Pfifferling wert. Andere Freunde der Exhumierung faseln von „historischer Gerechtigkeit“ – oder auch nur von Gerechtigkeit –, aber auch von Sühne. Menschen, die so reden, haben etwas Grundsätzliches nicht verstanden über Geschichte und Politik.

Geifernde Gutmenschen

Wie auch immer, eine affirmative Antwort kann uns egal sein, und zwar umso egaler, je vernünftiger sie daherkommt. Ein echter Grund Franco auszugraben ist, dass manche Menschen eben ressentimentgeladene Rachegeister mit verbrecherischen Seelenanlagen sind, wie der ob seiner Verdienste um die Versöhnung gefeierte Marcos Ana, die andere angesteckt haben mit ihrer Tollwut.

Auch darf man nicht vergessen, dass die niedersten Beweggründe die mächtigsten sind: die Gemeinheit gibt sich ein Stelldichein mit der Gerechtigkeit, und was dabei heraus kommt sind (g)eifernde Demokraten, die genau wissen, wie die gute, die richtige, die gesollte Geschichte ihren Lauf genommen hätte, wenn es nicht den Militärputsch vom 18. Juli 1936 gegeben hätte.

Wir sollten Franco ausgraben, aus Undank

Auch im entgegen gesetzten Lager, welches beileibe nicht allein aus Alt- und Neufranquisten besteht, sieht es nicht besser aus. Wieso Franco in Ruhe lassen? Er hat Spanien gerettet. Sicherlich ist das in der Kürze nicht richtig, grundfalsch ist es aber damit noch lange nicht. Aber angenommen, Franco hätte Spanien wirklich gerettet, so ist das noch lange kein Grund, ihn nicht auszugraben. Undank ist der Welten Lohn!

Gerade Demokraten haben ein Recht auf Undankbarkeit, genauso wie sie ein Recht, ihr Recht haben auf Geschichtsvergessenheit, Eigen- und Irrsinn. Auch auf Willkür und Belieben gibt es ein demokratisches Recht. Ist die Demokratie nicht das Wolkenkuckucksheim der Rechte ohne Pflichten? Steuerpflicht sowie die Pflicht, eine demokratische Gesinnung zu haben und der demokratischen Gehorsamspflicht gegenüber dem heiligen Gesetz peinlichst genau nachzukommen ausgenommen.

Die Demokratie braucht die Exhumierung Francos

Zuletzt ist alles doch nur eine Machtfrage, keine des Rechts und noch weniger eine der Gerechtigkeit. Moralische Menschen könnten jetzt kontern, dass es mit Francos Rechtsempfinden und Gerechtigkeitssinn auch nicht weit her war und er an der Macht seine Freude hatte. Ihnen sei gesagt: unter vollständiger Berücksichtigung aller Umstände und nach sorgfältigster Prüfung der jeweiligen „Früchte“ – „an ihren Früchten sollt ihr sie erkennen!“ – steht die „spanische Demokratie“ eineindeutig als Verliererin da.

Wen wundert es, dass das Ausgraben mumifizierter Diktatorenleichen zum demokratischen Programm gehört! Um das Gewissen der Demokratie ist es nicht viel besser bestellt als um ihr Gedächtnis, sie hat nämlich weder das eine noch das andere. Wenn man den irren Demokraten nicht Einhalt gebieten kann, muss man sie eben gewähren lassen. Ihr Regime, ihre Gesellschaft, ihr Recht. Die Demokraten brauchen das, sich im Gefühl ihrer Stärke und numerischen Überlegenheit sonnen und sich anderen gegenüber durchzusetzen. Das nennen sie dann Gerechtigkeit. Dabei ist das Verfallsdatum längst fest eingeprägt in diese „Demokratie“, und mit jedem Tag, der vergeht, rückt es näher.

(Bild: Francos Grab, Xauxa Håkan SvenssonEigenes Werk, Wikipedia, CC BY-SA 3.0)

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