Rezension

Batman (III): Extremistische Freiheit

Freiheit und Mythos werden in Christopher Nolans Batmanfilmen noch von zwei anderen Akteuren verkörpert: Dem Joker und der Gesellschaft der Schatten.

Es lohnt sich, deren jeweilige Freiheiten zu betrachten. Ich verwende hier den Plural, denn die Gesellschaft der Schatten hat ein ganz anderes Verhältnis zur Freiheit als der Joker. Beider Freiheit entspringt den gleichen Quellen, wie die Freiheit Batmans: Sie sind Gesetzlose und Mythen. Der erste Punkt bedarf nun keiner weiteren Erklärung. Der zweite ist interessant.

Der Joker versucht Gotham nach seinem eigenen Bild zu formen. Was das betrifft, unterscheidet er sich nicht von Batman. Im Verhörzimmer sagt er Batman, daß sie in den Augen der normalen Leute von Gotham praktisch dasselbe sind: Freaks. Doch wie das Leben jedes Rockstars zeigt, ist es nur ein kleiner Schritt vom Freak zum Mythos und andersherum. Der Joker wetteifert mit Batman um den ersten Platz in Gothams Mythologie. Wie es einen körperlichen und einen mythischen Batman gibt, gibt es einen körperlichen und einen mythischen Joker.

Auch die Macht des Jokers beruht auf seinem Mythos

Der körperliche ist ein gefährlicher Irrer, dem man nicht in einer dunklen Straßenecke begegnen möchte. Doch der mythische ist der wirklich gefährliche. Wenn Sie oder ich ankündigen ein Krankenhaus in die Luft zu sprengen, sofern Coleman Reese nicht getötet wird, dann würde die Polizei Krankenhäuser evakuieren und auf Sprengsätze durchsuchen. Wenn der Joker dasselbe tut, dann wird die ganze Stadt verrückt und jeder der Angehörige im Krankenhaus hat, wird versuchen Coleman Reese zu töten.

Der Mythos des Jokers ist es auch, der das zusammenhält, was man mangels besserer Bezeichnung seine Organisation nennen muß. In den Dialogen zwischen den Bankräubern zu Beginn von The Dark Knight wird das sehr deutlich. Sie stehen im Banne des Mythos. Nur so erklärt sich die absurde Kettenreaktion, bei der ein Räuber den anderen erschießt, obwohl jeder weiß, daß er der nächste ist. Das Motiv der Gier – „Einer weniger zum Teilen.“ – ist nur eine Rationalisierung und nicht mal eine gute. Die Schergen des Jokers folgen ihm nicht wegen des Geldes. Das könnten sie von der Mafia für geringeres Risiko haben. Der Mythos des Jokers hat sie in seiner Gewalt. Später im Film gehen sie sogar auf Selbstmordmissionen, bei denen es überhaupt nicht mehr um Geld geht.

Doch was will der Joker eigentlich? Alfred sagt, er wolle die Welt einfach brennen sehen. Ja, weil der Joker frei sein will. Seine Vorstellung von Freiheit ähnelt dabei der Batmans auf erstaunliche Weise. Sie teilen dasselbe Problem: Gesellschaft und Institutionen hindern sie an dem, was sie als ihre Mission ansehen. Ihre Lösung ist dann auch dieselbe: Sie werden zu Gesetzlosen und Mythen. Doch hier endet die Gemeinsamkeit.

Der Joker will den Mythos vollständig leben

Für den Joker ist die Freiheit Selbstzweck. Er beschreibt sich selbst als einen „Hund, der Autos nachjagt“, der nicht einmal wüßte, was er tun sollte, falls er je eines zu fassen bekäme. Er verachtet die Heuchelei und Selbstgerechtigkeit der zivilisierten Gesellschaft. Doch ihm fehlt jede Idee, was er an deren Stelle setzen sollte. Deshalb macht er sich auch keinerlei Gedanken darüber, was überhaupt gebessert werden kann. Er will sowieso nicht bessern. Er will, daß sein Mythos die Seelen und Hirne Gothams beherrscht. Er will ihr Alptraum sein.

Freiheit, das bedeutet für den Joker, daß seine mythische Person, zufällige Verheerung verbreitend, alle Grenzen der Vernunft, der Ethik und Ordnung übersteigt. Dadurch soll sein Mythos vollkommene Wirklichkeit werden. Der Joker verneint die Dialektik von Mythos und Wirklichkeit ebenso, wie die von Freiheit und Ordnung.

Er lebt die Freiheit des Mythos zum äußersten möglichen Extrem. Es gibt immer noch einen Unterschied zwischen dem körperlichen Joker und dem mythischen. Diese Grenze der Naturgesetze kann er nicht übersteigen. Doch er hat kein normalmenschliches Dasein, so wie Batman als Bruce Wayne. Er hat auch keine Vergangenheit. Anders als in den Comics, in denen der Joker eine Vorgeschichte hat, verweigert uns der Film bewußt jede Information darüber, wie der Joker zum Joker wurde. Er erzählt zwei unterschiedliche Geschichten darüber, wie die Narben in sein Gesicht kamen und offensichtlich saugt er sich beide gerade aus den Fingern.

Die Freiheit des Amokläufers

Eine Folge des Versuches, den Mythos wirklich zu leben, ist die Unfähigkeit des Jokers in Nuancen zu denken. Er ist im Wortsinne ein Extremist. Entweder Null oder Eins. Wie seine echten Kollegen im Geschäft der permanenten Revolution, seien es Antifaschläger oder verkrachte Akademiker, ist er deshalb auch unfähig die Gesellschaft zu verstehen, gegen die er rebelliert.

So kommt sein Schnitzer am Ende des Filmes zustande. Zwei Schiffe, auf einem befinden sich Strafgefangene mit ihren Wächtern, auf dem anderen normale Bürger, sind von ihm mit Sprengstoff präpariert worden. Jede Gruppe hat die Fernzündung für den Sprengsatz auf dem anderen Schiff. Wenn nicht bis Mitternacht eine Gruppe die andere in die Luft gejagt hat, wird der Joker sie beide ins Jenseits sprengen. Weil der Joker glaubt, daß die gesellschaftliche Moral nichts anderes als ein schlechter Witz ist, erwartet er, daß beide Seiten sofort zum Auslöser greifen werden. Tatsächlich gibt es dafür auf beiden Schiffen eine Mehrheit, doch was dann geschieht, paßt nicht in seine Rechnung.

Auf dem Schiff mit den Sträflingen schüchtert einer der Insassen den Kapitän so ein, daß dieser ihm die Zündung übergibt. Dann schmeißt er sie ins Wasser. Die Bürger auf dem anderen Schiff halten tatsächlich eine Wahl ab. Eine klare Mehrheit ist dafür die Anderen zu töten, um die eigene Haut zu retten. Doch kein einziger hat die Eier den Auslöser dann auch zu drücken. Der Freiheitsbegriff des Jokers ist sprichwörtlicher Wahnsinn: Ein amoklaufender Mythos. Dennoch, in der einen oder anderen Form übt diese Freiheit eine enorme Faszination auf Menschen aus, die in einer Gesellschaft leben, deren Beschränkungen sie vielfach als unnatürlich empfinden.

Die Gesellschaft der Schatten macht den Mythos zum Werkzeug

Die Gesellschaft der Schatten hat dagegen ein sehr viel praktischeres Verhältnis zu Freiheit und Mythos. Der Mythos ist für sie ein Mittel zum Zweck, nicht mehr als psychische Manipulation. Sie will schließlich kein anderes Gotham, sondern überhaupt kein Gotham. Gotham soll jedoch nicht einfach so von der Erde verschwinden. Es soll in einer letzten Orgie degenerierter Wut verbrennen. In Batman Begins greift sie dazu zu einer groben Keule: Halluzinogene Drogen in der Wasserversorgung. Der Mythos des Ra‘s al Ghul ist nur ein Werkzeug, um Leute wie den Mafiaboß Carmine Falcone einzuschüchtern und auf Linie zu halten.

In The Dark Knight Rises wird es viel interessanter. Zuerst, weil hier eine weitere befreiende Wirkung des Mythos vorgeführt wird. Die Gesellschaft der Schatten ist eine geheime Organisation hochmotivierter Kämpfer. Sie glauben an ihren eigenen Mythos und das gibt ihnen die Kraft, selbst dem sicheren Tod ins Angesicht zu schauen. Sie haben wenige der Sorgen gewöhnlicher Menschen. Sie leben und sterben für einen höheren Zweck. Das bringt etwas sehr problematisches mit sich. Woher weiß man denn, daß der Mythos, für den man kämpft, mehr ist als eine bloße Illusion? Andererseits, ist das normale Leben bedeutungsvoller, nur weil es der Standardmodus ist? Anders als der Joker sind die Männer der Gesellschaft der Schatten keine Psychopathen. Sie sind Helden. Doch Heldentum wird meist vom Mythos getrieben und das wirft die Frage auf, ob der Mythos mehr ist als ein Fiebertraum.

Bane verwirklicht den demokratischen Mythos

Dann ist da natürlich der Gebrauch, den Bane vom Mythos der Demokratie macht. Er macht mit dem Mythos kollektiver Freiheit dasselbe, was der Joker mit dem der individuellen Freiheit macht. Er holt ihn so weit nur möglich in die Wirklichkeit. Der Witz geht hier aber nicht auf Kosten desjenigen, der ihn reißt. Bane schafft alle unterdrückerischen Institutionen wie die Polizei ab und übergibt die Stadt dem Volk. Dadurch enthüllt er die Tatsache, daß Demokratie nur solange funktioniert, solange sie nicht wirklich ernst genommen wird und irgendeine Art von Oligarchie – meist eine Plutokratie – den Laden schmeißt. Der Aufstand des Pöbels gegen die Reichen bringt nichts als Blut und Chaos.

Damit das klar ist: The Dark Knight Rises ist kein Plädoyer für die Plutokratie. Die Reichen und Mächtigen sind selbst ein widerwärtiger Haufen und Teil des Problems, nicht der Lösung. Bane will nur zeigen, daß das Volk nicht besser ist. Er will eine Illusion zerschlagen, die unter all denjenigen verbreitet ist, die gegen ein herrschendes System kämpfen, nämlich daß das Volk gut sei und nur von seinen korrupten Eliten befreit werden müßte. Erst nachdem Gotham seine Chance bekam und seine Wertlosigkeit bewiesen hat, will er es deshalb vernichten.

Hier geht es zu Teil 1 und Teil 2 dieses Beitrags. Der abschließende vierte Teil folgt in Kürze.

(Bild: Luke M. Schierholz, flickr, CC BY 2.0)

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