Michael Klonovsky charakterisierte den Deutschen einmal als einen Menschen, der „schluckt und arbeitet“ und der „versucht, aus jeder Lage das Beste zu machen. Er scheut einschneidende Veränderungen. Geordnete Verhältnisse sind ihm wichtiger als persönliche Freiheiten. Sogar ein Hitler ist ja nicht von einem reichlichen Drittel der Deutschen gewählt worden, weil er Veränderungen versprach, sondern eine Rückkehr zur Ordnung.“
Dürfte tatsächlich jeder seine Meinung in Deutschland frei sagen, ohne dafür mit negativen Konsequenzen rechnen zu müssen, wäre diese Ordnung Geschichte. Möglicherweise käme es zu Veränderungen, die den zu einem Großteil um das „Online-Sein“ kreisenden Lebensalltag der meisten Menschen als einen Akt der Dummheit erscheinen ließe. In dieser Kreisbewegung sind der Lebenspartner, Kinder, Freunde und die berufliche Tätigkeit nur immer wiederkehrende Punkte, die sich letztlich dem Mittelpunkt unterordnen müssen. Sie sind nicht mehr als „Gegenwartspunkte“, wie sie Byung-Chul Han im digitalen Gedächtnis entdeckt.
Bewußtes Leben statt digitale Beschleunigung
Das entscheidende Merkmal dieser Gegenwartspunkte ist das Fehlen eines ausgedehnten zeitlichen Horizontes. Lebenspartner, die möglicherweise dazu gehörenden Kinder, Freunde und die berufliche Tätigkeit wurden noch nie von so vielen Menschen in so schneller Folge gewechselt, wie es in Deutschland mittlerweile Mode geworden ist. Sie sind der Beliebigkeit unterworfen worden, um eine Existenz in der Welt des Digitalen führen zu können. Jedenfalls scheinen die Menschen heute anzunehmen, die Integration der Flüchtigkeit dieser digitalen Welt in ihr reales Leben sei notwendig, wenn sie mithalten wollen.
Nun könnte jemand auf die Idee kommen, in der digitalen Welt einen enormen Schutzraum für die Meinungsfreiheit zu sehen. Wer das behauptet, der führt gerne soziale Netzwerke wie Facebook an, wo jeder seine Meinung äußern darf. Ganz falsch ist das nicht. Soziale Netzwerke sind ein Musterbeispiel des digitalen Mediums. Bei diesem handelt es sich um ein „Affektmedium“ und die mit seiner Hilfe stattfindende „digitale Kommunikation begünstigt eine sofortige Affektabfuhr“ (Han).
Wenn diese Affektabfuhr massenhaft stattfindet, wird von einem „Shitstorm“ gesprochen. Dabei handelt es sich um nichts anderes als die Äußerung der mehr oder weniger gleichen Meinung von einer großen Anzahl von Menschen, die sich durch eine Veröffentlichung bei Facebook oder an anderer Stelle zu einer Veröffentlichung dieser Meinung genötigt sehen. Der Schutzraum, den die digitale Welt der Meinungsfreiheit angeblich bietet, wird hier dazu genutzt, eine etablierte Meinung noch einmal als die eigene zu wiederholen, um daraus ein Gefühl der Befriedigung zu gewinnen und sich Anerkennung zu verschaffen.
Problematisch an sozialen Netzwerken wie Facebook ist zudem ihre Marktmacht. Der Siegeszug von Social Media macht die Präsenz eines Unternehmens in allen relevanten sozialen Netzwerken zwingend. Wer heute etwas verkaufen möchte, der kommt nicht darum herum, sein Unternehmen und dessen Produkte auch in der digitalen Welt zu bewerben. Weil die sozialen Netzwerke und auch Google selektieren, welche Werbung sie veröffentlichen, sind sie nicht mehr nur Marktteilnehmer, sondern sie sind zum Marktplatz an sich geworden, der nach ihren Regeln funktioniert.
Haß-Sprache?
Wer diese Regeln etwa durch eine als Haß-Sprache diffamierte Meinungsfreiheit verletzt, der kann sehr schnell von diesem Marktplatz ausgeschlossen werden und es ist ihm dann auch nicht mehr möglich, für sein Unternehmen zu werben. Das ist kein Gewinn für die Meinungsfreiheit, sondern zeigt lediglich, wie gut die Mechanismen der Unterdrückung mißliebiger Meinungen auch in der digitalen Welt funktionieren. Sie können es dort sogar noch viel besser, weil die digitale Welt allzugänglich ist und das Auffinden mißliebiger Meinungen äußerst leicht fällt.
Für diejenigen, deren eigene Meinung potentiell im Verdacht steht, dem Konstrukt der Haß-Sprache zufolge als mißliebige Meinung zu gelten, bedeutet das ein enormes Gefahrenpotential. Über Google oder Facebook sind sie auffindbar und damit verstärkt sich das Moment der Angst, die eigene Meinung frei zu äußern. Denn das kann auch im realen Leben negative Konsequenzen wie beispielsweise den Verlust des Arbeitsplatzes nach sich ziehen.
Wachhunde in der DDR und heute
Hier ist der Staat zwar nur mittelbar am Werk, aber er ist am Werk und er greift mit dem Herrschaftsinstrument der Meinungsfreiheit in das Privatleben jedes Menschen ein. Mit Konstrukten wie der Haß-Sprache schafft er einen schmalen Korridor des gerade noch Sagbaren, den niemand verlassen darf und er spannt die sozialen Netzwerke als Wachhunde ein. Das ist ein Vorgehen, wie es aus den beiden deutschen Diktaturen bestens bekannt ist.
Im Gewaltregime der SED in der DDR war der Staat aber noch auf eigene Wachhunde angewiesen. Rund 250.000 Menschen sollen diese Tätigkeit bei der Stasi ausgeübt haben. Hinzu kamen fast 200.000 inoffizielle Mitarbeiter (die so genannten IMs). Damit war die Stasi wohl die größte geheimdienstliche Organisation der Welt. Die Wahrscheinlichkeit für einen DDR-Bürger, einem Stasi-Mitarbeiter zu begegnen, war also entsprechend hoch. Bei allem, was er sagte oder tat, war es theoretisch möglich, daß die Stasi es mitbekam. Das erzeugte Angst und förderte das Wohlverhalten der DDR-Bürger im Sinne der sozialistischen Ideologie der SED.
Die sozialen Netzwerke sind heute zu Komplizen der staatlichen Angstmacherei geworden. Sie sind deshalb kein Schutzraum der Meinungsfreiheit, sondern sie setzen den ideologischen Denk- und Handlungsraum des Staates lediglich in der digitalen Welt fort.
Auszug aus: Gereon Breuer: Die ganze Wahrheit. Meinungsfreiheit als Herrschaftsinstrument. BN-Anstoß X, 100 S., Chemnitz 2016. Hier zum Sonderpreis von 5 Euro bestellen!
(Bild: Pixabay)
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