Rezension

Juli Zeh: Zwischen Welten – Politisches Erdbeben erwünscht!

Der neue Roman von Juli Zeh und Simon Urban zählt zu jenen Büchern, denen von ganzem Herzen zu wünschen ist, daß sie ein politisches Erdbeben ähnlich wie Thilo Sarrazins Deutschland schafft sich ab auslösen.

Juli Zeh muß man inzwischen als eine Kippfigur begreifen. Sie gehört zwar weiterhin der SPD an, aber schon in ihren früheren Romanen Corpus Delicti, Unterleuten und Über Menschen wimmelte es von Gedanken, die auf Weisung der Altparteienobrigkeiten penibel aus dem Diskurs herausgehalten werden. So warnte Zeh schon lange vor Corona eindringlich vor einer Gesundheitsdiktatur, brachte viel Verständnis für rechte Ossis auf und verspottete die Realitätsferne der Großstadtökos.

Diese Melodie setzt sich in Zwischen Welten, ihrem neuen Roman, nahtlos fort. Stefan, ein kinderloser Kulturjournalist aus Hamburg, beginnt eine digitale Brieffreundschaft, die gelegentlich zur Affäre ausartet, mit einer alten Germanistik-Kommilitonin, die im tiefsten Brandenburg um das Überleben ihres geerbten Bauernhofs kämpft und dabei ihre Kinder sowie ihren Ehemann vernachlässigt und sie zu verlieren droht.

Die Themen dieser Brieffreundschaft sind hochaktuell: Stefan nervt mit dümmlichen Gender-Sternchen, ergreift als linksliberales Sensibelchen Partei für die Aufrüstung der Ukraine und plädiert zunächst für Sprachverbote, bis schließlich die Handlung Fahrt aufnimmt und viele Gewißheiten seiner Medienschickeria über den Haufen wirft.

Die Landwirtin Theresa demgegenüber kann über die virtuellen Twitter-Scheingefechte nur lachen, bis sie im Laufe des Romans todernste Wirkung entfalten. Sie steht mit beiden Beinen im Leben, stellt gesunde Bio-Lebensmittel her, kümmert sich ganz konkret um Tierschutz und wird von der staatlichen Bürokratie dennoch wie der letzte Dreck behandelt. Das führt sie schließlich zu einer Bewegung, für die „Land schafft Verbindung“ Modell gestanden haben könnte.

Zwischen Welten, das bedeutet also: die hypermoralische Überheblichkeit der Wessis gegen die Bodenständigkeit der Ossis, Single gegen Familie, Stadt gegen Land, links gegen rechts, oben gegen unten sowie: üppig vergüteter Medienmüll gegen regionale Lebensmittel, deren Erzeugung ungerechterweise einen riesigen Schuldenberg hinterlassen.

Zwischendurch gibt es Hoffnung, daß sich diese gesellschaftlichen Konflikte zwischen den armen Produktivkräften und den reichen Labersäcken vielleicht sogar in Liebe auflösen lassen. So konstruiert, hätten Zeh und Urban behaupten können, einen fruchtbaren, herrschaftsfreien Diskurs anzustreben.

Ohne das Ende des Romans vorwegnehmen zu wollen, ist diese Lesart allerdings nicht möglich. Im Gegenteil: Die Autoren zertrümmern diese Hoffnung auf Versöhnung. Der digitale Raum läßt keinen fairen Meinungsaustausch auf Augenhöhe zu. Selbst das vertrauliche Zwiegespräch gerät irgendwann zur Farce, weil die niedergeschriebenen Gedanken in der Realität keine konkreten Taten zur Folge haben müssen, wenn sich die Brieffreunde nie begegnen und stets sagen können: „Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern.“

Verstärkt wird dieser pessimistische Ausblick durch Passagen, die eine Sympathie für Oswald Spengler (Untergang des Abendlandes) und Martin Heidegger insinuieren. Die Frage „Sag mir, wo du stehst?“ wollen wir Juli Zeh trotzdem nicht stellen. Es ist gut, daß sie in der SPD bleibt. Ihr Roman ist sprachlich durchschnittlich, aber unter inhaltlichen Gesichtspunkten betrachtet herausragender Sprengstoff.

Juli Zeh/Simon Urban: Zwischen Welten. München 2023.

(Hintergrundbild: Sven Mandel, Wikipedia, CC BY-SA 4.0)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Datenschutzinfo