Der »totale Krieg« bildet kein für sich isoliertes Phänomen, sondern einen einzelnen Teil der die gesamte Moderne prägenden Totalität. Die Mobilisierung aller dem Volke und dem Staate zu eigenen Kräfte und Mittel im Sinne eines zur Frage von Sein und Nichtsein erhobenen Kampfes.
Ebenso unverzichtbar wie diese Totalität der Mobilisierung ist dabei die von der Propaganda erreichte Totalität der Zuweisung. Waren beispielsweise die Kabinettskriege des 18. Jahrhunderts nicht viel mehr als erweiterte Duelle einzelner europäischer Dynastien, so ist der totale Krieg der Moderne der existenzielle Kampf ganzer Gesellschaften. Die Kabinettskriege waren wohl auch darum wesentlich weniger verheerend als beispielsweise noch der Dreißigjährige Krieg, da sie sich meist aus dem Streit um Erbfolge ergaben.
Monarchen schonen ihr Volk
Wer um die Thronfolge kämpft, muss Land und Volk schonen, möchte er nach seinem Sieg nicht über Ruinen, Gräber und Ödland herrschen. Der totale Krieg hingegen strebt zuvorderst nach der völligen Einebnung des gegnerischen Potenzials. Sein geistiges Fundament bildet die Wahnidee des »gerechten Krieges«. Ihr zu Folge ist der Feind kein gleichwertiger Widersacher mehr, sondern ein Verbrecher, der für seinen vermeintlichen Rechtsbruch gezüchtigt wird. Da der Krieg hier nicht von Regierung gegen Regierung bzw. von Armee gegen Armee, sondern von Volk gegen Volk ausgetragen wird, werden die Straf- und Sühnemaßnahmen unterschiedslos auf alle Angehörigen des gegnerischen Volkes angewandt.
Wer also aus diesem Krieg als Sieger hervorgeht, erfreut sich nicht nur der rückwirkenden Legitimierung seiner vorab gefassten Ziele, sondern auch aller zu ihrer Erreichung angewandten Mittel. Da dieser Krieg »im Namen der Menschheit« geführt wird, steht der Besiegte als Geächteter außerhalb dieser und kann sich daher auf jene universalistischen Ansprüche, in deren Name er geächtet und niedergerungen wird, selber nicht berufen. Der Sieger darf ihn darum nach Belieben aushungern, vertreiben, internieren, versklaven oder ausmorden.
Der Missbrauch des Rechts
Gleichzeit kann er sich das Recht vorbehalten, ihn, sofern er Selbiges verschuldet hat, vor ein von ihm geleitetes Tribunal zu zerren. Durch das Einnehmen der Rolle des Richters kann er sich einerseits die kategorische Rechtschaffenheit des eigenen Handelns attestieren, andererseits dem angeklagten Besiegten den Verweis auf das so naheliegende tu quoque (Auch du) verwehren. Das Recht ist hier keine den einzelnen Parteien übergeordnete Institution mehr, sondern fällt als Beute in die Hand des Siegers und ist ihm Instrument der Rache.
Der Besiegte verfällt also hermetischer Kriminalisierung, der Bauer in seiner Peripherie im gleichen Maße wie die führenden Köpfe von Staat, Militär und Partei. Diese Kriminalisierung erfolgt dabei nicht nur im politischen, sondern ebenso im historischen und kulturellen Sinne, sodass der Besiegte erlebt, wie seine gesamte Existenz – alles, was ihn von der übrigen Welt abhebt – zum Skandalon gerät. Ist der Ausgang des Krieges in dem Sinne ebenso total, dass das besiegte Volk vollständig unter den Zugriff des Siegers gerät, vermag dieser, dessen geistiges Gefüge unter Verweis auf seine moralische Autorität entsprechend seiner Interessen zu modellieren.
Propaganda: Der Sieger als Erzieher
Auch hierbei kommen die Mittel moderner Technik und Organisation zum Einsatz: eine allgegenwärtige Kommunikation, die den Besiegten permanenter Beschallung unterzieht. Der Sieger wird zum Erzieher, der den Besiegten die Humanität lehrt. Eine entartete Humanität, die zwar in alter Tradition von der Gleichheit aller Menschen singt, zugleich jedoch fein säuberlich trennt zwischen Opfern erster und Opfern zweiter Klasse. Bereits das bloße Bemühen um andere Betrachtungswinkel auf das vergangene Geschehen wird gemäß dieser suggestiven Konstellation als moralisches Vergehen geahndet.
Durch diese geistige Infiltrierung gerät das Narrativ des Siegers nach einigen Generationen im Bewusstsein des Besiegten zur absoluten Wahrheit und erlangt schließlich eine identitätsstiftende und staatstragende Bedeutung. So vermag der Sieger, ohne sich offener Repression zu bedienen, den eigenen Triumph über Jahrzehnte zu sichern und den Zustand des Besiegten in die Zeit des Friedens auszudehnen. Aber was ist der Frieden hier anderes als die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln?
(Bild: Carl Schmitt. In seinem Werk Nomos der Erde unterscheidet er zwischen einem totalen Krieg und einem eingehegten Krieg nach festgelegten Regeln.)
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