Gesichtet

Das Vermächtnis des 20. Juli

Morgen jährt sich das Attentat auf Adolf Hitler zum 74. Mal.

Über die Verschwörung des 20. Juli 1944 erhitzen sich jedes Jahr aufs Neue einige Gemüter. War das Attentat gerechtfertigt? Was hätte eine Beseitigung Hitlers zu diesem späten Zeitpunkt des Krieges noch gebracht? Und wie konnte Stauffenberg mit der Explosion der Bombe das Leben Unschuldiger gefährden?

So unterschiedlich diese und andere Fragen sein mögen, haben sie zumeist eines gemeinsam: Sie beschäftigen sich allesamt mit dem Thema als einer abgeschlossenen, nur noch zu analysierenden Historie. Der 20. Juli als geschichtliches Ereignis hält jedoch weitaus mehr für uns bereit.

Wie entstehen historische Neubewertungen?

Um dies zu erkennen, ist es wichtig zu verstehen, daß objektive Fakten bei weitem nicht die entscheidende Größe für unsere Sicht auf die Geschichte sind. Man erinnere sich z.B. an Christopher Clarks 2013 erschienenen Bestseller Die Schlafwandler, als die maßgebenden deutschen Historiker, welche ansonst die Alleinschuld Deutschlands auch am 1. Weltkrieg predigten, den relativierenden Fakten des Autoren nichts entgegenzusetzen hatten.

Zu einem anderen Blick auf unsere Geschichte führte diese Neubetrachtung der damaligen Ereignisse aber nicht, da uns jedweder lebensweltliche Bezug zu dieser Zeit fehlt. Dabei dürfte es zudem nur eine Frage der Zeit sein, bis ein solch erfolgreiches Buch auch über den 2. Weltkrieg erscheinen wird, und die etablierten deutschen Historiker wohl ebenso hilflos dastehen. Einen automatischen Perspektivwechsel auf die eigene Geschichte wird aber auch dies mit Sicherheit nicht einleiten.

Der 20. Juli besitzt geschichtliche Sprengkraft

Solche Zusammenhänge begreifen in der Regel die notorischen Geschichtsrevisionisten nicht, denen es im Grunde weniger um Geschichte geht, sondern die sich durch deren Umschreibung einen direkten Einfluß auf Mensch und Politik versprechen. Ein bestimmtes Lebensgefühl stellt man jedoch nicht durch bloße Wissenschaft her. Was für ein geschichtliches Weltbild stets viel wichtiger ist, und dies aufgrund der Funktion menschlichen Denkens auch bleiben wird, sind faszinierende Gleichnisse.

Und ein solches vermag bereits eine einzelne geschichtliche Person zu erzeugen, die einem Siegfried aus dem Nibelungenlied gleich, durch eine schillernde Gestalt – jung, schön und voll entschlossenen Tatendranges – mythologisch verklärt die Phantasien der Hörer beflügeln kann.

Die Bombe in der Wolfsschanze besitzt deswegen gerade für uns Nachgeborene eine geschichtliche Sprengkraft. Sie vermag uns freizusprengen von dem Schuldkult, mit welchem man uns belastet, da sie als die Tat jener gilt, die im besten Sinne für Deutschland kämpften, und eben nicht für Hitler. Die Männer des 20. Juli stehen somit stellvertretend für all jene, die mit den Verbrechen nichts zu tun hatten, und deren Erinnerung uns damit eine Brücke schlagen lässt: nicht nur zu der eigenen Militärtradition vor der Bundeswehr, sondern überhaupt zu einem positiven Bezug auf unsere Nation.

Dieser Perspektivwechsel wäre heute bereits möglich, ohne auch nur einen Satz in den Geschichtsbüchern umzuschreiben, was im Übrigen wiederum andere Probleme aufwerfen könnte.

Eine positive, nationale Erzählung

Ernst Jünger hatte diese Zusammenhänge bereits früh erkannt und einige Tage nach dem Attentat bezüglich der zu erwartenden Säuberungswellen in der Wehrmacht in sein Tagebuch geschrieben: „Welche Opfer hier wieder fallen, und gerade in den kleinen Kreisen der letzten ritterlichen Menschen, der freien Geister, der jenseits der dumpfen Leidenschaft Fühlenden und Denkenden. Und dennoch sind diese Opfer wichtig, weil sie inneren Raum schaffen und verhüten, dass die Nation als Ganzes, als Block in die entsetzlichen Tiefen des Schicksals fällt.“

Der 20. Juli als deutsche Tragödie besitzt das Potential zu einer Erzählung antiken Ausmaßes, und kann in ihrer Dramaturgie unserem Blick auf die eigene Geschichte einen gänzlich neuen Angelpunkt geben. Weg von dem gähnenden Abgrund, welcher uns durch die Verbrechen jener Tage aufgetan wurde, und durch einen für die Mehrheit anschlussfähigen Moment zu einem positiven Blick auf unsere Geschichte und auf uns selbst.

Aufstand zur Rettung Deutschlands

Über diese eher pragmatische Sichtweise hinaus ist der 20. Juli ein grundsätzliches Sinnbild für einen Aufstand zur Rettung Deutschlands. Stauffenberg selbst formulierte dies in einem Brief an seine Frau wie folgt: „Weißt Du, ich habe das Gefühl, daß ich jetzt etwas tun muß, um das Reich zu retten. Wir sind als Generalstäbler alle mitverantwortlich“.

Deutschland galt ihm mehr als der Eid an einen Mann, der, wie er meinte, hunderttausende deutsche Soldaten verantwortungslos verheizte. Nicht zuletzt auch, da Hitler den Krieg nicht entschlossen genug geführt hätte. Der ihm zugeschriebene letzte Ausruf „Es lebe das heilige Deutschland“ ist dabei sein selbstloser Dienst am Vaterland, auf eine griffige Formel gebracht.

Die Tat als Aufforderung an uns alle

Dieser letzte Satz drückt zugleich die Botschaft des 20. Juli aus, daß eine jede Regierung nur ein Mittel zum Zweck sein darf, und daß sie beseitigt werden muß, wenn sie Deutschland nicht dienen will oder kann. Bis heute ist die Tat – abgesehen vom internen Gedenken der Bundeswehr – vielleicht auch deswegen nie tiefer gewürdigt worden, da durch sie uns Deutschen ein positiver Bezug zu uns selbst wiedergeben werden könnte, was jedoch so nicht gewünscht erscheint.

Dennoch vermag jeder Einzelne auf den angeschnittenen positiven Bezug, welchen wir gesellschaftlich vom 20. Juli ohne Zweifel haben, anzuknüpfen und aufzubauen, was selten etwa so gut gelungen ist, wie in dieser beinahe schon legendär zu nennenden Rede von Generalmajor a. D. Christian Trull.

(Bild links: Bundesarchiv, Bild 146-1984-079-02 / CC-BY-SA 3.0 / rechts: Stauffenberg, gemeinfrei)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Datenschutzinfo