Rezension

„Der souveränste, permanent scheiternde Autor des 20. Jahrhundert“

Vom 23. bis zum 25. März versammelte sich die Ernst und Friedrich Georg Jünger-Gesellschaft im Kloster Heiligkreuztal zum 19. Symposium.

Das diesjährige Treffen stand ganz unter dem Stern der Technik, ein Thema, das beide Jünger-Brüder ihr Leben lang begleitete und sich wie ein roter Faden durch Werk und Überlegungen zog. Egal ob zerstörerische Erfindungen im Ersten Weltkrieg oder stolpernde Fotographiefetischisten in Ernst Jüngers späten Tagebüchern – Technik erschreckt, fasziniert und begeistert.

Der einzige, echte Nachfolger Nietzsches

Freitags begann die Veranstaltung mit den verschiedensten Teilnehmern, eine Handvoll junger Leute traf auf altgediegene Jünger-Jünger, die es seit vielen Jahren zu den Tagungen verschlägt. Zuerst referierte Alexander Michailowski über die Technikkritik Ernst Jüngers, die er in Konstellation zu Martin Heideggers und Friedrich Nietzsches Gedankenwelt setzte. Für Heidegger war Jünger der einzige echte Nachfolger Nietzsches, für Jünger sei der „Wille zur Macht“ keine bloße Theorie. Stattdessen „sehe er das Seiende“ und damit die Ausformungen dieses Willens.

Der Samstag bot eine bunte Mischung aus philosophischen Gedanken, visuellen Eindrücken der frühen Photographie, die bereits in den 20er-Jahren zu propagandistischen Zwecken gegen die verhasste Weimarer Republik eingesetzt wurde. Ob beispielsweise Ernst Jünger am, durchaus als manipulativ zu betrachtenden Bildband Der gefährliche Augenblick mitgewirkt hatte, war hoch umstritten.

Dem so oft zu kurz gekommenen (zu Recht oder zu Unrecht?) Friedrich Georg Jünger widmete sich Vorstandsmitglied Alexander Pschera und verglich Friedrich Georgs Technikkritik mit der europäisch-amerikanischen Wahrnehmung der technisierten Moderne, unter anderem mit José Ortega y Gasset und rückte Jüngers Perfektion der Technik in einen zeitlichen Kontext verschiedener technikkritischer „Epochen“.

Kann ein Waldgang gelingen?

Nach einem deftigen Mittagessen in den Gemäuern des Klosters befassten sich die nächsten beiden Vorträge mit Jüngers Tagebüchern und erörterten die intrinsische und die spezifische Technikkritik seiner Aufzeichnungen. Besonders kontrovers wurde die Diskussion geführt, inwiefern Jüngers Reisetagebücher authentisch seien. Während Jünger-Puristen sich an die wirklichkeitsgetreue Beschreibung der Urlaube klammerten, versuchten ihnen kritische Stimmen, Jüngers romantische Berichte, zum Beispiel den „Sarazenenturm“, das Tagebuch über einen längeren Aufenthalt in Sardinien, zu entreißen. Erlebte Jünger die archaische Natur eines abgeschiedenen Eilandes? Oder misslang ihm selbst der Rückzug aus der technischen Moderne im sardischen Hinterland, als Nato-Düsenjäger über Cagliari hinwegdonnerten? Bewegt sich Jünger sogar in seinen sonst so „chronistischen“ Aufzeichnungen in phantastischen Welten?

Niels Penke setzte sich aus germanistischer Sicht mit der Jüngerschen Technikkritik in seinen „entschleunigsten“ Werken, dem berühmten Waldgang und dem eher unbekannten Roman Gläserne Bienen auseinander. In der Diskussionsrunde traf Penke den Nagel auf den Kopf und bezeichnete Ernst Jünger im Angesicht des Fortschritts und der Technik als den „souveränsten, permanent scheiternden Autor des 20. Jahrhundert“. Eine grandiose Lesung aus dem Waldgang des Schauspielers Michael König vom Burgtheater Wien, schloss das Programm ab. In den umliegenden Wirtshäusern der kleinen Ortschaft wurde aber noch lange diskutiert.

Nach der Geschichte

Am Sonntag referierte Helmut Kiesel über Eumeswil, das anarchische Spätwerk Jüngers, und die sogenannte Posthistoire, eine philosophische Strömung, die die Zeit als beendet sieht. In den 80ern und 90ern tauchten mehr und mehr Einschätzungen auf, „nach der Geschichte“ zu leben. Die großen Ideologien seien verbraucht, die Schlachtfelder bleiben leer, alles wurde bereits gedacht. Die Menschheit tritt auf der Stelle. Kiesel erörterte, dass man Ernst Jünger als einen, wohl unbewussten, Vordenker der „Posthistoire“ betrachten kann. Dieser hatte Jahre vor der öffentlichen Debatte bereits posthistorische Elemente, wie dem der „großen Deponie“, in seinen Tagebüchern und dem Roman Eumeswil zu Papier gebracht.

Insgesamt trafen sich rund 120 Teilnehmer im idyllischen und abgelegenen Kloster, das nur wenige Kilometer entfernt vom Schloss Wilflingen entfernt liegt. Dort lebte Ernst Jünger in der Abgeschiedenheit der Staufenbergschen Försterei, die mittlerweile als Museum umfunktioniert wurde, um dem Jahrhundertschriftsteller zu gedenken. Als letzte Programmpunkte am Sonntag: Der Besuch des Jünger-Hauses und das Essen im Wilflinger „Löwen“, dem Stammgasthof Jüngers.

Ein wenig skurril mutet es an, wenn an die hundert Teilnehmer Sonntagmittag mit einem Autokorso durchs verschlafene Schwabenländle düsen, um sich die Heimstätte Jüngers anzuschauen, in der er fast 50 Jahre lebte. Fast so skurril, wie über Technikkritik zu philosophieren, wenn fast jeder ein Smartphone besitzt und der Sprecher über ein Mikrophon die Zuhörer beschallt. Aber vielleicht trifft genau das die Janusköpfigkeit dieses Segenfluchs: Ein perfektionistisches Wunder, zugleich kulturelle Abtötung des Geistes. Moderne Erleichterung und Fortschritt, zugleich Partikularisierung und Entfremdung.

Die Gebrüder Jünger brauchen Zeit

Was genau die Technik ist und wie sie auf uns Menschen wirkt, wird schwerlich jemals beantwortet werden. Das wussten auch die Jünger-Brüder. Das bedeutet aber nicht, aufgrund der eigenen Befangenheit den Kopf in den Sand zu stecken. Man muss sich dem Kern der Sache annähern, wie Jünger es ausdrücken würde, und die Technik ins rechte System rücken. Die Brisanz und unvorstellbare Aktualität der Jüngerschen Technikphilosophie, beispielsweise bei den Gläsernen Bienen wie einer der jüngeren Teilnehmer in einem Interview betonte, kann gerade für die neuen Generationen von herausragender Wichtigkeit sein.

Friedrich Georg und Ernst Jünger haben ein gigantisches Werk hinterlassen, das weder in einer breiten Öffentlichkeit, noch im Wissenschaftsbetrieb wirklich angekommen ist, aber genügend Potenzial birgt, es im 21. Jahrhundert an die Spitze der deutschen Philosophie und Literatur zu schaffen. Man muss dem Ganzen nur Zeit lassen, wie einer der Teilnehmer bemerkte. Ob es aber wirklich ein „Jünger-Revival“ geben wird, steht in den Sternen und wird in hohem Maße von der Politik und dem Zeitgeist in Deutschland bestimmt werden. All jenen gesellschaftlichen Faktoren, denen Ernst und Friedrich Georg schon immer skeptisch gegenüberstanden.

Denn eines hat die „Jünger-Gesellschaft“ geschafft: Unvoreingenommen und unpolitisch sich zwei umstrittenen, aber geniale Autoren zu widmen, die ihr Leben lang von allen Seiten eingenommen werden wollten.

Mehr Informationen zur Gesellschaft, die sich der Förderung und wissenschaftlichen Erforschung des literarischen Werkes der Brüder Ernst und Friedrich Georg Jünger widmet, finden Sie hier: https://juenger-gesellschaft.com/

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