Gesichtet

Trümmerschau: Was will Trump?

Der amerikanische Angriff auf die syrische Luftwaffenbasis al-Schairat hat weit mehr zerstört, als ein paar veraltete Flugzeuge und eine Kantine.

An kaum einem einzelnen Ereignis der letzten Jahre schnitten sich jemals so viele verschiedene Kreise wie an diesem. Dabei, das gilt es bei der ganzen Aufregung zu betonen, war die Aktion selbst keineswegs so überwältigend, wie sie nun – zu recht – erscheint. Eine Großmacht hat einen unliebsamen Drittweltstaat mit einer Handvoll Marschflugkörpern beschossen. Das ist nicht alltäglich, aber es kommt vor und ist keine Kriegserklärung. Bis jetzt sieht es auch nicht so aus, als ob die „Stiefel auf den Boden“ kämen.

Darin liegt aber auch schon das erste Rätsel: Was will Trump eigentlich und wie soll es jetzt weitergehen? Militärisch ist die siegreiche Armee Bashar al Assads auf diese Weise nicht zu schlagen. Ein Regimewechsel, den US-Außenminister Rex Tillerson jetzt wieder ins Gespräch brachte, ist so nicht durchzuführen. Die Kampfkraft der syrischen Luftwaffe dürfte sich mittelfristig durch diesen Schlag sogar erhöhen. Moskau hat bereits angekündigt das zerstörte Material mehr als nur zu ersetzen.

Front: Assads Erfolge

Um das Ganze auch nur halbwegs zu überblicken, muß man begreifen, daß es hier mindestens zwei Kampfschauplätze gibt, die auf vielfältige Weise miteinander verbunden sind: Einmal Syrien und den ganzen mittleren Osten, zum anderen aber die amerikanische Innenpolitik und mit ihr die komplexe Dynamik, die durch die Präsidentschaft Donald Trumps in Bewegung gesetzt wurde.

In Syrien sieht es zur Zeit so aus: Assads Truppen haben mit russischer Unterstützung Aleppo von  verschiedenen Milizen zurückerobert und säubern zur Zeit die Provinz Idlib, südwestlich von Aleppo. Sollte ihnen dies gelingen, wonach zur Zeit alles aussieht, dann hätte die Regierung Assad den wirtschaftlich und bevölkerungsmäßig stärkeren Westen Syriens unter Kontrolle.

Diese Milizen werden ihrerseits von Saudi-Arabien und Kuwait und in weit weniger klarer Weise auch von der Türkei, den Vereinigten Staaten und Israel unterstützt. Für die amerikanischen Verbündeten in der Region, Israel und die sunnitischen Golfmonarchien, vor allem Saudi-Arabien und Kuwait, taucht damit wieder das Schreckgespenst eines „Schiitischen Halbmonds“ Iran-Syrien-Hisbollah auf, den man im Syrischen Bürgerkrieg zerschlagen wollte. Die Amerikaner unterstützen aber gleichzeitig auch die kurdischen Separatisten. Die haben sich im Norden Syriens ihr eigenes Reich erobert, sehr zum Ärgernis der Türkei, die deshalb letzten Sommer in den Krieg eingriff und seither einen Landstreifen nordöstlich von Aleppo besetzt hält.

Islamischer Staat in Schwierigkeiten

Der Ostteil des Landes ist weitgehend unter der Kontrolle des Islamischen Staates. Dieser steckt jedoch in massiven Schwierigkeiten. In Mossul, im Irak, sind seine Kämpfer auf ein kleines Fleckchen zusammengedrängt, wenn sie auch noch weite Gebiete um die ölreiche Stadt Kirkuk und in der westirakischen Wüste halten. Währenddessen rücken von Westen Assads Truppen in der Gegend um das von ihnen zurückeroberte Palmyra vor. Dort kam es auch zu einer Reihe israelischer Luftangriffe auf syrische Ziele. Mitte März behaupteten die Syrer, entgegen dem Dementi der Israelis, ein israelisches Kampfflugzeug abgeschossen zu haben. Schairat ist einer der Stützpunkte, der an diesen Kämpfen beteiligt war.

Für den IS sind zur Zeit jedoch die Kurden gefährlicher. Die kämpfen sich gerade in die Außenbezirke um die IS-Hauptstadt Ar-Raqqa vor. Im Osten des Landes, in der Stadt Deir es-Zor, befindet sich zudem noch eine kleine, seit vier Jahren von Assad-Loyalisten gehaltene Enklave, die hauptsächlich aus der Luft versorgt wird. Wollen die Amerikaner statt über irgendwelche Dschihadistenmilizen, über die Kurden in Syrien im Spiel bleiben, dann müßten die Kurden und nicht Assad den schwankenden IS beerben.

Heimatfront: Trump muß liefern. Das geht in den USA aber nicht.

Doch in Amerika ist nun ein Mann Präsident, der seit Jahren gegen alle Abenteuer im Mittleren Osten polemisiert hat und der seine Wahl nicht zuletzt der Tatsache verdankt, daß er gegenüber seiner Rivalin Clinton als Friedenskandidat punkten konnte. Doch Trump befindet sich seit seiner Amtseinführung in einer Sackgasse. Die Verfassung der Vereinigten Staaten, mit ihrer starken Gewaltenteilung, erlaubt kein Durchregieren gegen ein in den Institutionen verbunkertes Establishment. Am Ende kann jeder Provinzrichter in Florida oder auf Hawaii eine präsidiale Exekutivanordnung für rechtswidrig erklären, sofern er dafür die politische und mediale Rückendeckung bekommt. Als Präsident, der mit großen Reformversprechen antrat, muß Trump liefern. Seine Feinde müssen ihn nur blockieren und abwarten um seine Präsidentschaft zu zerstören. Darin liegt die strategische Schwäche seiner Position.

Das Ergebnis ist entsprechend. Trumps Feinde haben nicht viel mehr als sechs Wochen gebraucht, um ihn an die Wand zu drücken, so daß er quiekt: Seine Einreiseverbote endeten als Lachnummern. Seine mutigen Personalentscheidungen sind entweder gescheitert oder versandet. Der Versuch einer Gesundheitsreform ist am Unwillen, ebenso wie der Unfähigkeit des republikanischen Establishments im Kongreß gescheitert. Und die Medien wiederholen stupide das Märchen, Trump sei Putins Agent und irgendwie hätten die Russen die Wahlen manipuliert. In dieser Situation haben sich die Spannungen zwischen den verschiedenen Lagern innerhalb der Trump-Regierung drastisch verschärft.

Bannon gegen Kushner

Auf der einen Seite stehen die Leute um den ehemaligen Chefredakteur von Breitbart, Stephen Bannon, die die im Wahlkampf versprochene Agenda trotz allem durchziehen wollen. Bannon ist ein Moslemfresser, aber strickt gegen jeden Kriegseinsatz in Syrien. Auf der anderen Seite stehen Trumps Schwiegersohn Jared Kushner, seine Tochter Ivanka und der ehemalige CEO von Goldmann Sachs, Gary Cohn. Ihr Ziel nennen sie selbst eine „ergebnisorientierte Politik“ und damit treffen sie freilich genau die Schwachstelle Trumps.

Als Assad Aleppo zurückeroberte, sagte und tat Trump trotz der Medienhetze nichts. Am 2. April erklärte die amerikanische Regierung offiziell, daß die Vereinigten Staaten keinen Regimewechsel in Syrien mehr anstreben. Kurz darauf wird Bannon aus dem inneren Kreis des Nationalen Sicherheitsrates verbannt. Es folgt der Gasangriff, von wem auch immer, in Syrien und die 180-Grad-Wende der amerikanischen Syrienpolitik. Trotz aller Gerüchte, die Russen seien eigentlich vorgewarnt gewesen und nur 23 von 59 Tomahawk-Raketen hätten ihre Ziele getroffen, kündigen die Russen das Memorandum über die Vermeidung von Zusammenstößen im Luftraum über Syrien und senden Schiffe ins Mittelmeer.

Zur gleichen Zeit läuft auf allen Kanälen eine Kampagne gegen Bannon. Ständig liest man in den Medien von seinem unmittelbar bevorstehenden Rücktritt. Bannon ist bis jetzt aber nicht bereit die Segel zu streichen. Wenn Trump ihn loswerden wolle, müsse er ihn feuern.

Syrien könnte das am wenigsten betroffene Land sein

Soweit die Situation bis jetzt. Was folgt daraus? Witzigerweise sind die Folgen für Syrien, also das bombardierte Land, wahrscheinlich die mit Abstand geringsten. Hier könnte ich mich gewaltig irren, aber bis jetzt denke ich nicht, daß die Amerikaner unter Trump viel mehr tun werden, als das, was sie bereits unter Obama taten. Gelegentliche Bombardierungen und Unterstützung irgendwelcher „moderater Rebellen“. Ich sehe nicht, wie sie damit auf Dauer den Sieg der syrischen Regierungstruppen verhindern wollen.

Sollten die Amerikaner jedoch in Syrien einmarschieren, drohte der dritte Weltkrieg. Dann stünde die Frage im Raum, ob die Russen angesichts der gewaltigen Übermacht der NATO klein beigäben. Die Position Chinas wäre entscheidend. Von hier werden die Kombinationen unüberschaubar. Bis auf Weiteres ist interessanter, wie sich die neue Wende der Amerikaner gegen Assad allerdings in Verbindung mit der Aussicht auf ein unabhängiges Kurdistan in Nordsyrien auf die sowieso schon angespannten türkisch-amerikanischen Beziehungen auswirken. Erdogan jedenfalls nutzte erst einmal die Gelegenheit, um die Forderung nach einer Flugverbotszone über Syrien, die den Zusammenstoß mit russischen Fliegern unvermeidlich machen würde, wieder ins Gespräch zu bringen.

International ernten die Vereinigten Staaten den Applaus der selbsternannten freien Welt, wie auch den ihrer Verbündeten in der Region, der Türkei auch Israel und einer Reihe arabischer Staaten. Für Trump, der bisher vom globalen Establishment so gut geschnitten wurde, wie man einen US-Präsidenten eben schneiden kann, ist das nicht gerade wenig.

Die alternativen Medien brechen mit Trump

Für ihn hat sich aber vor allem die Lage an der Heimatfront verändert. Donald Trump wurde nicht zuletzt als Friedenskandidat gewählt. „No more stupid wars in the Middle East“, war eine Parole vieler seiner Anhänger. Es ist aber wichtig zu überblicken, wen er da vor den Kopf gestoßen hat und wen er nicht vor den Kopf gestoßen hat. Es gibt nämlich immer noch eine ganze Reihe von Hurrapatrioten der Bush-Zeit und Leute, die einen Mülleimer zum Präsidenten wählten, vorausgesetzt der Mülleimer wäre der Kandidat der republikanischen Partei. Zu denen gesellen sich auf einmal Elemente, von den Neocons bis in die radikale Linke hinein, für die Trump eben noch der Wiedergänger Adolf Hitlers war. Ihren groteskesten Ausdruck fand dieses Bündnis bisher im Angriff einiger Antifa-Clowns auf eine von Richard Spencer organisierte Demo gegen den drohenden Krieg.

Während Trump also zum ersten Mal so etwas wie eine Koalition der Mitte hinter sich weiß, sind seine Verluste im Milieu der alternativen Medien vernichtend. Der größte Teil ist auf einen Schlag von ihm abgefallen. Diese Szene, von Breitbart bis an die äußeren Ränder der Alt-Right, hat zu einem erheblichen Teil seinen Wahlkampf gestemmt. Ihre Bedeutung für Trump kann man kaum unterschätzen. Seine Präsidentschaft verdankt dieser Mann seiner Überlegenheit in den neuen Medien. Um dort erfolgreich zu sein, braucht man aber aktive, technologieaffine Anhänger. Babyboomer, die immer noch glauben, daß George W. Bush ein großer Präsident war, werden nicht die Memes für die Wahlkämpfe 2018 und 2020 rauswerfen. Ob Trump diesen Riß wieder kitten kann, ist fraglich.

Das Scheitern der Reformer

Zu den langfristig wichtigsten Folgen des Angriffes könnten aber gerade seine Auswirkungen auf die politischen Strömungen zählen, die in den letzten Jahren gegen das Establishment aufgekommen sind. Trotz seines, aus ihrer Sicht oft viel zu moderaten Programms, hatte Trump fast ihre uneingeschränkte Unterstützung gewonnen. Jetzt zeichnet sich eine Verschärfung ab.

Vielleicht überzogen, aber gerade deswegen symptomatisch und treffend war die Reaktion des Nachrichtenredakteurs von Altright.com, Hunter Wallace, der sich bei allen Nazisektierern entschuldigte, die von Anfang an gesagt hatten, ein Mann mit einem jüdischen Schwiegersohn könne nur eine israelische Marionette sein.

Die alternativen Strömungen, von denen wir hier reden, schwanken naturgemäß zwischen Reform und Revolution. Es geht hier (noch?) nicht um die Frage bewaffneter Kampf ja oder nein. Aber es gibt doch erhebliche Differenzen darüber, wie weit man den Status Quo eigentlich verändern will und wie weit man bereit ist innerhalb der gegebenen Institutionen zu arbeiten, die demokratischen Spielregeln zu akzeptieren usw. Für Assad war dieser Angriff nicht mehr als ein Rückschlag. Für die Reformer in der amerikanischen Rechten und darüber eben auch für ihre Pendants in Europa, war er eine krachende, vielleicht endgültige Niederlage.

Auf der anderen Seite haben aber diese Strömungen durch das Ereignis eben auch ihre Unabhängigkeit von Trump, dem bisherigen „Gottimperator“, bewiesen. Hier stehen keine Obamafans, die ihren Protest gegen den Patriotact, gegen Guantanamo und die Kriege in Afghanistan und im Irak vergessen, sobald ihr Idol im Weißen Haus sitzt. Natürlich, wie alle einfachen Leute in allen Systemen, haben sie nur die Wahl zwischen blinder Gefolgschaft und ebenso blinder Rebellion. Was genau passiert ist, daß wissen sie nicht. Die überwältigende Mehrheit der alternativen Medienszene hat sich für die Rebellion entschieden.

Deal, Dilettantismus oder Opportunismus?

Denn bei all dem müssen wir zugeben, daß wir den bis auf weiteres wichtigsten Faktor noch nicht kennen. Die alles entscheidende Frage ist doch die: Ist Trump umgefallen, wurde er schlecht beraten, oder hat er einen Deal mit seinen Gegnern geschlossen, um sich Luft zu verschaffen? Sofern das Selbstlob gestattet sei, seit Trump im Wahlkampf gegen das Iranabkommen der Regierung Obama polterte und sich an AIPAC heranschmiß, habe ich vermutet, daß er die Außenpolitik, genauer die Politik im Mittleren Osten, für die Innenpolitik opfern würde. Kurz, er kriegt seine Reformen, dafür kriegt die Israellobby tote Araber. Zumindest diejenigen, denen es um nichts anderes als Israel geht, könnte man auf diese Weise aus der Koalition seiner Gegner lösen.

Ist das jetzt passiert? Ich weiß es nicht. Immerhin hat der US-Senat zur gleichen Zeit den umstrittenen Kandidaten für das oberste Gericht, Neil M. Gorsuch, endlich bestätigt. Eine weniger spektakuläre Erklärung ist die, daß er einfach aufgrund seiner außenpolitischen Unerfahrenheit von seinen aus dem Establishment stammenden Beratern überrollt wurde. Dafür gibt es in der US-Geschichte genügend Beispiele. Kennedy wurde von Beratern, die natürlich nicht selbst die volle Verantwortung tragen mußten, in das Abenteuer in der Schweinebucht getrieben (Kuba 1961).

Obama hatte erst nach fünf Jahren im Amt, nach dem Scheitern in Afghanistan und dem Chaos in Libyen, die Sicherheit, sich in einer Krise gegen eine militärische Intervention zu stellen. Auch das betraf Syrien, 2013, auch damals nach einem Giftgasangriff, von dem inzwischen erwiesen ist, daß er von Rebellen verübt wurde.

Leider ist es auch sehr gut möglich, daß dies der Abschied von einer gescheiterten Reformpräsidentschaft ist. Die Berichte über die Kämpfe im Weißen Haus deuten jedenfalls darauf hin, auch wenn wir bei diesen Nachrichten immer daran denken sollten, wie gerne so etwas hochgespielt wird.

Trump ist bis jetzt verhalten

Dieser Schlag hat sehr viel zerstört. Die unmittelbaren Folgen werden wir schnell erfahren. Ob es zu einer weiteren Konfrontation mit Rußland kommt, darüber entscheidet die nächste Woche. Manches andere wird sich erst in Jahren, vielleicht auch erst im historischen Rückblick zeigen.

Trumps offizielle Stellungnahme vom Abend des 6. April bedient die übliche Rhetorik über den schrecklichen Giftgasangriff und den fürchterlichen Assad und ruft zur Solidarität aller Völker auf, um das Blutvergießen in Syrien zu beenden. Der Text vermeidet aber peinlichst auch nur jede Andeutung einer konkreten Verpflichtung. Seine wöchentliche Kurzansprache vom nächsten Tag erwähnte den Vorfall nicht einmal. Stattdessen stellte er seine Erfolge im Kampf gegen illegale und straffällige Einwanderer heraus. Am selben Tag erklärte er den 9. April zum National Former Prisoner of War Recognition Day, angeblich anläßlich des 75. Jahrestages des Todesmarsches von Bataan, nach dem Fall der Philippinen an Japan. Auf seinem persönlichen Twitterprofil bedankt er sich bei der Truppe und verliert sonst kein Wort. Ist das ein gutes Zeichen?

(Bild: US-Verteidigungsministerium, Ford Williams)

Passend zu diesem Beitrag empfehlen wir aus unserer Schriftenreihe BN-Anstoß: Geopolitik. Das Spiel nationaler Interessen zwischen Krieg und Frieden. (verfaßt von Gereon Breuer, Chemnitz 2015, 100 S., 8,50 Euro)

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